Etwas Neues
- Franzi C
- 24. Apr. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Apr. 2024
Meine Therapeutin sagt, ich brauche etwas Neues. Neue Eindrücke, einen neuen Job, ein neues Leben. Dabei hab ich doch Angst vor Neues. Aber das Alte macht mich krank und unglücklich. Es ist öde und eigentlich will ich weg. Alles dreht sich um sich selbst. Es ist eine Spirale aus Scheiße und ich finde das Ende nicht. Aber wer viel Scheiße in der Kindheit erlebt hat, fühlt sich auch als Erwachsene:r in einer Scheißespirale wohl. So wie andere nie ihre Heimatstadt verlassen, verlasse ich nicht meinen so lieb gewonnenen Fäkalienkreisel. Mein Verhalten ist ebenfalls an diese Umgebung angepasst. Ich weiß, wann die nächste Kurve kommt und was ich gegen diesen fiesen Geruch machen muss.
Auf der Suche nach Neuem, begegnet mir immer wieder dieselbe Frage: Wie viel Raum darf ich einnehmen? Darf ich einen Text schreiben? Darf ich eine Webseite erstellen und die Texte als posten? Darf ich mich für diesen Job bewerben? Darf ich meinen Freundinnen oder meiner Therapeutin schreiben, wenn es mir gerade nicht gut geht? Denn immer ist da diese Angst. Angst, der Text ist nicht lustig oder originell genug. Angst, dass meine Bewerbung nicht überzeugt. Angst, ich nerve meine Freund:innen. Vielleicht haben sie ja gerade eine anstrengende Woche und ich komme mit meinen Problemen zu einem schlechten Zeitpunkt. Ich habe Angst, nie das richtige Maß zu finden und bei allem zu viel oder zu wenig zu sein.
Der Demotivationstrainer (Ja, der. Es gibt ja nur einen.) motiviert mich dazu, diesen Text zu schreiben. Er fühlt das Gleiche. Manchmal lähmt mich diese Angst. Dann meldet sich mein innerer Christian Lindner, der lieber gar nichts macht, als etwas Falsches. Schulz von Thun spricht von einem inneren Team. Es sind verschiedene Ansichten über sich und die Welt, die an einem mentalen Konferenztisch sitzen und diskutieren. Keine Ahnung, wann und wie sich Christian Lindner einen Platz an diesem Tisch erschlichen hat. Warum will er überhaupt an meinem Tisch sitzen? Und warum ist er die ganze Zeit so negativ?
Am Ende ist die Angst aber auch irgendwie befreiend. Es gibt nämlich kein Verhalten, dass meine Angst verschwinden lässt. Egal, ob ich in meiner Komfortzone bleibe oder nicht. Wenn ich auf eine Party gehe, habe ich Angst, dass mich die Menschen nicht mögen oder dass ich sie nicht mag. Wenn ich zuhause bleibe, habe ich Angst, etwas zu verpassen, oder der einladenden Person das Gefühl zu geben, dass ich wegen ihr nicht komme. Wenn ich auf der Party Menschen anspreche, befürchte ich, zu anhänglich zu wirken oder nichts zu haben, über das ich mit ihnen reden kann. Wenn ich es nicht tue, denke ich, dass die Anderen über mich reden oder ich ein tolles Gespräch verpasse. Die Angst zu vermeiden ist also unmöglich. Ich könnte mich deswegen einschränken und immer zuhause bleiben, aber das passt nicht zu mir. Ich probiere gerne neue Dinge aus. Ich gehe auch mal als Torte verkleidet zu einem Geburtstag. Andere finden das vielleicht peinlich. Ich nicht. Ich kämpfe mit einem anderen Gefühl und drei Mal dürft ihr raten, welches. Richtig: Angst. Ich habe Angst, dass jemand findet, dass ich übertreibe. Aber ich ziehe das Kostüm trotzdem an und siehe da. Niemand findet es zu viel oder unangemessen. Im Gegenteil. Ich kriege sogar Komplimente dafür. Was ich mit diesem Beispiel sagen will ist, dass es sehr befreiend sein kann, wenn man immer Angst hat. Wenn es kein ‚richtiges‘ Verhalten gibt, kann man auch nichts ‚falsch‘ machen. Und das ist doch irgendwie beruhigend, oder?
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