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Das kleine Mädchen im bunten Kleid

  • Autorenbild: Franzi C
    Franzi C
  • 1. Nov. 2024
  • 3 Min. Lesezeit

Immer wenn ich auf meine Kindheit zurückblicke, löst das, was ich da sehe, unterschiedliche Gefühle in mir aus. Früher war es hauptsächlich Wut und Trauer. Wut, weil ich Dinge erlebt habe, die niemand erleben sollte - schon gar nicht als Kind -, und weil niemand eingegriffen hat. Trauer, weil ich diese Zeit nie wieder zurück bekomme und sie auch nicht ändern kann. Irgendwann wurden diese Gefühle schwächer. Und in letzter Zeit sind ein paar neue Gefühle dazu gekommen. Sogar schöne Gefühle.


Seit ein paar Monaten bin ich einfach nur dankbar für das kleine Mädchen im bunten Kleid, das all dies erleben musste und sich trotzdem durchgekämpft hat. Nur ihretwegen bin ich heute ihr. Sie hat nie aufgehört, an das Gute im Menschen zu glauben, auch wenn sie die liebevolle Familie nur aus dem Fernseher kannte und sie immer allein mit allem klar kommen musste. Sie hat studiert, obwohl alle dachten, sie wär zu dumm und würde nicht mal das Abitur schaffen. Sie war die Erwachsene, wenn ihre Eltern mal wieder daran scheiterten, selbst erwachsen zu sein.


Ich bewundere sie für ihre Stärke und dafür, dass sie immer ihren eigenen Weg gegangen ist. Ich bewundere sie dafür, dass sie selbst immer nett zu anderen war, obwohl kein Tag vergangen ist, in dem sie zuhause nicht abgewertet, ignoriert oder beleidigt wurde. Ich bewundere sie dafür, dass sie immer ihr Bestes gegeben hat, auch wenn ich nicht immer so nett zu ihr war, wie sie es eigentlich verdient hätte. Aber am allermeisten bewundere ich sie dafür, dass sie in dem Moment, wo sie schon so erschöpft war vom jahrelangen Kampf gegen ihre Vergangenheit, doch noch die Kraft gefunden hat, um den bisher schwersten Kampf von allen zu meistern.


Alles, was sie im Gegenzug dafür will, ist ab und zu einfach nur Kind sein. Für sie gucke ich Disney-Filme, male bunte Bilder, singe und tanze, kaufe noch ein Harry Potter-Trinkglas und verkleide mich als Torte. Denn natürlich braucht selbst die stärkste Kämpferin mal eine Pause. Verglichen mit dem, was sie alles durchmachen musste, ist sie eigentlich sehr bescheiden.


Trotz allem hat sie sich über die Jahre so tolle Menschen als Freunde ausgesucht. Freunde, die an sie glauben, die lieb zu ihr sind, die sie inspirieren und die sie so nehmen, wie sie ist. Bei den Freunden kann sie das, was früher nie möglich war, nämlich sich entspannen und sie selbst sein. Aber vor allem ist sie in den letzten Jahren auch zu meiner besten Freundin geworden. Sie ist immer da für mich. Sie weiß von allen am besten, wie sie mich trösten kann, wenn es mir schlecht geht. Sie freut sich für meine Erfolge. Mit ihr wird es nie langweilig.


Dafür erinnere ich sie regelmäßig daran, dass sie nicht so hart zu sich sein soll, wenn sie mal wieder ihre schärfste Kritikerin ist. Oder ich bremse sie, wenn sie wieder keine Geduld hat und am liebsten alles auf einmal und sofort machen möchte. Wenn sie Angst hat, erkläre ich ihr, dass sie jetzt in Sicherheit ist und ich immer auf sie aufpasse. Ich bin ihre Stimme der Vernunft und weise ihr manchmal den Weg.


Ich bin stolz auf dieses kleine Mädchen und auf alles, was sie in den letzen Jahrzehnten geleistet hat. Ich bin froh, dass sie immer an meiner Seite ist. Ich hoffe, dass sie in den nächsten Jahren immer mehr zur Ruhe kommt. Ich will ihr so viele Aufgaben abnehmen, wie ich nur kann, damit sie endlich einfach nur ein sorgloses Kind sein kann.

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