Die Achterbahnfahrt der Heilung
- Franzi C
- 26. Juli 2024
- 3 Min. Lesezeit
Es gibt Tage, an denen habe ich das Gefühl, dass meine Vergangenheit mein ganzes Leben bestimmt. Dann gibt es aber auch Tage, an denen ich mich so frei fühle, als wäre nie etwas passiert. All das ist normal, wenn man etwas Altlast von früher mit sich rumträgt. Hier geht es um meine Achterbahnfahrt der Heilung und meine Lieblingsschokolade.
Vor ein paar Jahren hätte ich nie gedacht, dass mein Leben und mein Innerstes heute mal so aussehen werden, wie sie es gerade tun. Nachdem ich jahrelang vor meiner Vergangenheit weggerannt bin, hatte sie mich vor drei Jahren mit rekordverdächtiger Geschwindigkeit eingeholt. Nun saß ich da vor dem Scherbenhaufen meines Lebens und wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte. Als hätte jemand drei Puzzles mit je 10.000 Teilen auf einen Haufen geworfen und ich musste herausfinden, welche Teile wohin gehören und sie dann richtig zusammensetzen. Zu dieser Zeit gab es viele, nicht enden wollende Tage, an denen ich das Gefühl hatte, ich bin außer meiner Vergangenheit nichts anderes mehr. Von morgens bis abends arbeitete ich an den Puzzlen. Meine ganze Persönlichkeit war wie weggewischt. Ich wusste nicht, ob der Tag jemals kommen würde, an dem ich mich wieder mit etwas anderem außer der Vergangenheit beschäftigen kann. Einer Freundin sagte ich damals, dass sich mein Leben gerade so anfühlt, als hätte man einen dieser beschissenen Tage, an denen alles schief läuft und an dem man nur darauf wartet, abends endlich in den Supermarkt zu gehen und seine Lieblingsschokolade zu kaufen. Man freut sich den ganzen Tag auf die Schokolade. Dann ist es endlich abends, man betritt den Supermarkt und sieht, dass sie ausverkauft ist. Das ist der Moment, in dem man man kurz davor ist, im Supermarkt fremde Menschen anzuschreien und die Regale umzuwerfen. Wir alle hatten schon mal so einen Tag. Für mich war damals aber jeder Tag wie einer dieser Tage. Meine Freundin sagte dann: „Irgendwann wird es wieder deine Lieblingsschokolade geben, glaub mir.“ Und sie sollte Recht behalten.
Irgendwann ging es bergauf. Mittlerweile sind die Puzzleteile alle fein säuberlich getrennt voneinander und man erkennt sogar schon, welches Motiv sie haben. Meine Persönlichkeit kommt zurück und nimmt immer mehr Raum ein. Mittlerweile gibt es sogar Tage, an denen ich das Gefühl habe, dass mich meine Vergangenheit überhaupt nicht mehr beeinflusst. Komischerweise könnte ich rückblickend gar nicht genau sagen, wann ich welchen Schritt gegangen bin. Es wird einfach unbemerkt besser und eines Tages blickt man zurück und sieht, wie weit man schon gegangen ist.
Es gibt trotzdem immer wieder vereinzelte Tage, an denen mich meine Vergangenheit wieder überwältigt und wie ein großes Monster vor mir steht. Regungslos stehe ich dann da, weil ich mich wieder so fühle wie damals: Klein und hilflos. Dabei hoffe ich jedes Mal, wenn es mir gut geht, dass diese alten Gefühle nie zurück kommen werden. Aber so läuft es leider nicht. Meine Vergangenheit wird immer ein Teil von mir bleiben und es wird Tage geben, an denen sie mich mehr beeinflusst, als es mir lieb ist. Der Unterschied ist jetzt nur, dass ich merke, welche Anteile von früher kommen und welche aus der Gegenwart. Dadurch habe ich die Kontrolle über mein Leben und nicht mehr meine Vergangenheit. Denn neben den drei Puzzeln von früher habe ich mittlerweile auch ein eigenes Puzzle angefangen. Bei dem Puzzle bestimme ich, wie groß es wird und wie das Motiv aussieht. Meine Lieblingsschokolade gibt es jetzt auch wieder jeden Tag, aber meistens sind die Tage so gut, dass ich sie gar nicht brauche.
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