84 Tage: Warum ich keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern habe
- Franzi C
- 12. Juli 2024
- 5 Min. Lesezeit
Wenn ein Kind den Kontakt zu den eigenen Eltern abbricht, geht der Blick oft verständnislos zum Kind. Was für ein Kind macht so etwas? Warum ist es so undankbar? Dabei sollte die eigentliche Frage sein: Was haben die Eltern getan, wenn ein Leben mit ihnen schlimmer ist als eine Leben ohne sie? Hier geht es um meine Erfahrungen und darum, warum es mir ohne Eltern besser geht als mit.
An einem kalten Wintermorgen im Januar 2010 stand ich in der Küche meines Elternhauses. Ich war 16. Meine Mutter stand neben mir, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Eine Woche zuvor hatte sie sich von meinem Stiefvater getrennt, ohne es mir zu erzählen oder zu erklären, warum. In der Woche habe ich jeden Tag nach der Schule geweint. Ich habe zu der Zeit bei meinen Großeltern gewohnt, weil meine Mutter nicht mehr wollte, dass ich bei ihr wohne. Nun stand sie neben mir in der unbeheizten Küche und bestrafte mich mit Ignoranz. Keine Ahnung, wofür sie mich bestrafte. Ich weiß nur noch, dass es mir in diesem Moment reichte. Ich hatte die Schnauze voll von den ständigen Ablehnungen meiner Mutter. Es verging kein Tag, an dem sie mir nicht zeigte, wie belastend meine bloße Existenz für sie ist. Ich beschloss also, nicht mehr wie bisher jedes Wochenende zu ihr zu fahren. Diesmal wollte ich sie ablehnen und mit Ignoranz bestrafen. Ich wollte, dass sie merkt, wie sehr sie mich immer wieder verletzt hat. Ein Teil von mir wollte Abstand. Ein anderer Teil von mir wollte, dass sie nach ein paar Tagen anruft, weil sie mich vermisst und merkt, dass ihr ohne mich etwas fehlt. Tja, Satz mit X: Das war wohl nix. Fast drei Monate hat es gedauert, bis sie sich meldete. 84 Tage um genau zu sein. Autsch.
Während sich meine Mutter einredete, dass ich die Böse in dem Stück bin und sie ihr Ghosting weiterhin mit großer Ausdauer perfektionierte, als würde sie damit bei den olympischen Spielen antreten wollen, habe ich von anderen immer wieder Sätze gehört wie: „Wollen wir uns nicht nochmal zu dritt zusammensetzen und über alles reden?“ oder „Aber sie ist doch deine Mutter! Du musst doch mit ihr reden.“ Und ich kann es ihnen nicht verübeln. Niemand wusste, was hinter den verschlossenen Türen passierte. Nach außen hin musste ich ja immer so tun, als wäre alles in Ordnung. Ehrlich gesagt, wurde mir selbst auch erst Jahre später klar, wie kaputt unser Verhältnis eigentlich war. Das meiste hatte ich zu der Zeit aus reinem Selbstschutz verdrängt. Alles, was ich wusste, war, dass ich mich nicht mehr mit meiner Mutter auseinandersetzen konnte. Ich habe damals fest damit gerechnet, dass ich irgendwann wieder mit ihr reden werde. Warum es dann doch anders kam? Nun ja. Nachdem ich eine Weile Ruhe von meiner Mutter hatte, merkte ich, dass sie mir nicht fehlte und es mir ohne sie sogar besser ging. Plötzlich war ich nur noch von Menschen umgeben, die mich nicht ständig abwiesen, sondern meine Nähe suchten. In meinem neuen Zuhause waren nun meine Großeltern, die sich sorgen machten, wenn ich zu spät heimkam. Umgeben von Freundinnen, die mir jeden Tag schrieben, auch wenn wir uns den ganzen Tag in der Schule gesehen haben, merkte ich, dass ein Leben ohne meine Mutter gar kein schlechtes war. In meiner neuen Umgebung war alles anders, als ich es bisher kannte. Anders, aber besser. 16 Jahre lang schwebte eine riesige Gewitterwolke über mir und auf einmal war sie weg. Irgendwann hatte ich einfach kein Bedürfnis mehr danach, wieder Kontakt zu ihr aufzunehmen. Als wäre man jahrelang mit schwerem Gepäck auf dem Rücken durch das Leben gegangen und nachdem man es eine Weile abgelegt hat und damit gut klar kam, fragt jemand, ob man sein Gepäck jetzt wieder aufsetzen will. Ähm, nein?!
Wer Es war einmal…das Leben gesehen hat, weiß natürlich, dass ein Kind nur dadurch entstehen kann, dass sich ein Mann und eine Frau nackt umarmen und sie sich um die eigene Achse drehend in den Himmel schweben. Damit will ich sagen: Es gibt auch einen Vater in meiner Geschichte. Zu ihm habe ich seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr. Nachdem sich meine Mutter von ihm getrennt hat, als ich fünf war, hatte er sich klischeehaft in seine Midlife–Crises gestürzt und sich eine Frau gesucht, die halb so alt war wie er, und sie zum Mittelpunkt seines Lebens gemacht. Der Kontakt zu mir wurde weniger und weniger, bis er mich irgendwann nur noch an Feiertagen zum Familienessen im Haus meiner Großeltern (= seiner Eltern) gesehen hat. Insgesamt hatte diese Strategie etwas besser funktioniert als die meiner Mutter, denn wer nicht da ist, kann auch nicht so viel falsch machen. Der einzige Vorwurf ist dann, dass die Person eben nicht da war. Als ich dann erwachsen war, sorgte das – zusammen mit dem verzweifelten Wunsch, nicht noch ein Elternteil verlieren zu wollen – dafür, dass ich den Kontakt noch (zu) lange aufrecht erhalten habe. Warum ich mich dann doch für den Kontaktabbruch entschieden habe? Nun ja, ich habe mir zwei Jahrzehnte lang eingeredet, dass mein Vater es einfach nicht besser kann. Er will ein guter Vater sein, aber er weiß gar nicht, wie es geht. Es ist also nicht seine Schuld. Aber nachdem mein Vater seine Freundin umarmte und so mein Halbbruder entstand, habe ich gesehen, dass er es doch kann. Dinge, die bei mir vorher unmöglich waren, waren bei meinem Halbbruder plötzlich selbstverständlich. Wie eine Ohrfeige traf mich die Erkenntnis, dass wenn er etwas bei mir nicht macht, dann nicht, weil er es nicht kann, sondern weil er nicht will. Er wollte all die Jahre gar kein guter Vater für mich sein. Das hätte er so natürlich nie zugegeben, aber seine Taten sagten mir das, was er sich nicht zu sagen traute. Irgendwann drang sich mir dann die Frage auf, warum ich weiterhin Kontakt zu einer Person haben sollte, wenn die mich gar nicht vernünftig behandeln will. Darauf fiel mir einfach keine Antwort ein. Darauf gibt es auch keine gute Antwort. Also sagte ich ihm, dass er keinen Platz mehr in meinem Leben hat.
Keine dieser Entscheidungen bereue ich. Natürlich macht es mich immer noch traurig, dass ich im Kampf um die Zuneigung meiner Eltern schlussendlich kapitulieren musste. Die Beziehung zwischen Kindern und ihren Eltern ist etwas ganz besonderes und es ist in Ordnung, als Elternteil Fehler zu machen. Aber ein Kind gezeugt zu haben, ist kein Freifahrtschein für Verhalten, das sich im oberen Drittel auf der nach oben offenen Scheiße–Skala befindet. Sie haben sich dazu entschieden, mich in die Welt zu setzen. Ich hatte dabei kein Mitspracherecht. Und genau deswegen schulde ich ihnen nichts. Vor allem sollte ich erst recht nicht für ihre (Fehl–)Entscheidung bestraft werden. Ich habe ihnen über die Jahre genügend Chancen gegeben, sich zu entschuldigen und sich zu ändern, aber die haben sie nicht ergriffen und nun ist es zu spät. PGH: Pech gehabt.
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