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Was passiert, wenn wir uns verändern?

  • Autorenbild: Franzi C
    Franzi C
  • 14. Juni 2024
  • 5 Min. Lesezeit

Überall ist die Rede davon, dass man das Beste aus sich rausholen soll. Sei es im Job, in der Partnerschaft, in der Ernährung, im Sport oder bei der eigenen Psyche. Aber nur selten hört etwas darüber, welche Schattenseiten so eine Optimierung mit sich bringen kann.


Es ist unglaublich schwer, die eigenen Muster zu erkennen und zu durchbrechen. Das liegt daran, dass wir uns immer in Gruppen befinden. Im Job besteht die Gruppe aus den Arbeitskolleg:innen, im Privaten aus dem Freundeskreis, Zuhause aus der Familie, Partner:innen oder den Mitbewohner:innen. Und die haben uns mit unseren Verhaltensweisen kennengelernt und sind es gewohnt auf unser Verhalten mit ihrem erlernten Verhalten zu reagieren. So führen wir täglich unser gut auswendig gelerntes Theaterstück auf; immer in unterschiedlichen Rollen, aber immer mit demselben Text. Eine echte, tiefgreifende Veränderung unseres Verhaltens führt unweigerlich zu einer mehr oder weniger starken Veränderung unseres Textes. Und natürlich ist unser Umfeld dann verunsichert. Einige können auf den neuen Text eingehen und improvisieren. Dann bleiben alle in ihren Rollen und das Theaterstück geht weiter. Es gibt aber auch Menschen, denen es schwerer fällt, auf unseren neuen Text zu reagieren. Die beschweren sich dann, weil wir etwas Falsches gesagt haben, oder sagen trotzdem ihren gelernten Text auf, der dann aber gar nicht mehr zu unserem passt. Dann gerät die Aufführung ins Stocken und man muss gemeinsam überlegen, ob und wie man weitermacht. Beides ist mir schon passiert. Ich habe auch beide Szenarien schon bei anderen beobachtet. Hier möchte ich aber auf das Letztere von beiden eingehen. Was passiert, wenn man sich selbst verändert, aber das Umfeld verändert sich nicht mit? Was passiert, wenn die Bezugspersonen noch an Verhaltensweisen festhalten, die man selbst bereits durch mühsame Kleinarbeit abgelegt hat?


Der Prozess der Veränderung ist komplex, zuweilen auch anstrengend und erfordert eine Menge Mut. Ich würde behaupten, jeder Mensch möchte etwas im eigenen Leben verändern. Ich zum Beispiel möchte meine Ernährung verbessern und die ungesunden Verhaltensmuster, die ich in meiner Kindheit erlernt habe, auflösen — zwei verschiedene, aber trotzdem ähnlich schwierige Ziele. Die beiden Ziele habe ich mir vor einigen Jahren gesetzt und damit den einfachen Teil des Veränderungsprozesses schnell und erfolgreich hinter mich gebracht. Danach wurde es nur noch schwerer, denn um sich zu verändern, muss man die Entscheidung nicht nur einmal treffen, sondern jeden Tag wieder aufs Neue. Bei jeder Mahlzeit stehe ich vor der Entscheidung, ob ich etwas Gesundes esse oder nicht. Und nicht nur dann. Bei jeder Verantstaltung, bei jedem Essen gehen mit Freundinnen, bei jedem Café, an dem ich vorbei gehe, habe ich die Qual der Wahl. Bei den ungesunden Verhaltensmustern aus meiner Kindheit ist es noch schwieriger. Bei jeder zwischenmenschlichen Interaktion habe ich die Möglichkeit, mich so zu verhalten, wie ich es immer tue und es gelernt habe oder mich zu hinterfragen und etwas Neues auszuprobieren. Aber auch wenn ich alleine zuhause bin, gibt es im Bezug auf mein Verhalten mir selbst gegenüber viele Optionen, aus denen ich jeden Tag wählen muss.


Ich habe mich hinterfragt, um zu verstehen, warum ich mich so verhalte, wie ich es tue. Das hat mir dabei geholfen, zu sehen, wie meine Entscheidungen und Verhaltensweisen entstehen und an welchem Punkt ich ansetzen muss, um das veraltete Muster zu durchbrechen. Allerdings passieren solche Verhaltensexperimente nie in einem luftleeren Raum. Wir sind umgeben von Menschen, die uns dabei zusehen und auf die Änderungen reagieren. Wie schon erwähnt, waren die Reaktionen aus meinem Umfeld nicht immer positiv. Allein die Vorstellung davon war für mich manchmal so beängstigend, dass ich mich am Ende so verhalten habe, wie ich es doch eigentlich nicht mehr machen wollte. Aber wenn ich aus dem erlernten Theaterstück ausgebrochen bin, gab es unterschiedliche Reaktionen darauf. Einige haben so getan, als hätte ich meinen alten Text aufgesagt und haben mit ihrem Standardtext geantwortet. Einige haben mich dafür kritisiert, dass ich nicht das sage, was ich sonst immer sage. Andere waren irritiert und haben die Bühne verlassen. Wieder andere haben behauptet, dass sie gar keinen Text gelernt hätten und haben dann ihren Standardtext aufgesagt. Und manchmal war ich die, die die Bühne verlassen hat.

Es gibt also zwei Möglichkeiten: Erstens, ich kann selbst so tun, als hätte ich gar keinen neuen Text und mache einfach weiter mit dem alten. Das führt dazu, dass die Interaktion mit der anderen Person oberflächlich und bis zu einem gewissen Grad unecht wird, denn ich sage einen Text, der nicht mehr zu mir passt. Für die andere Person verändert sich nichts, denn die kann ja ungestört so weitermachen wie bisher. Nur für mich wird das mit der Zeit immer unangenehmer und kann mich sogar krank machen. Die andere — nicht weniger unangenehmere — Möglichkeit ist, dass ich auf meinen neuen Text beharre und dafür in Kauf nehme, dass das Theaterstück schneller endet als gedacht. Das führt zu Konflikten oder dazu, dass eine Distanz zwischen mir und der anderen Person entsteht. Die Beziehung ist dann in der Regel vorbei.


Der Preis für die eigene Weiterentwicklung kann also sehr hoch werden. Daher verstehe ich jede Person, die sich vor Veränderungen scheut. Manchmal entwickeln wir uns aber eher unbewusst weiter. Dann merken wir die Veränderungen erst, wenn wir durch die verwirrenden Texte Probleme haben, der Handlung zu folgen. Aber was ist, wenn man dann schon 20 Jahre lang verheiratet ist? Was ist, wenn die Personen mit dem immer selben Text die eigenen Eltern, der Sohn oder die beste Freundin sind?


In Ermangelung einer besseren Strategie bedeutete für mich bisher eine Veränderung, bei der sich die andere Person nicht anpassen kann, das Ende der Beziehung. Und das ist in Ordnung. Das heißt nicht, dass es einfach ist. Das heißt auch erst recht nicht, dass es sich gut anfühlt. Im Gegenteil, so eine Erkenntnis bedeutet auch immer eine Menge Trauer, Wut und andere Gefühle, auf die man keine Lust hat. Aber die Alternative wäre für mich noch schlimmer. Wer möchte denn ein Theaterstück sehen, bei dem die eine Person Romeo und Julia rückwärts spielt und die andere den guten Menschen von Sezuan vorwärts? Richtig: Niemand. Das wäre einfach nur verwirrend. Man würde nach fünf Minuten den Saal verlassen und sein Geld zurück verlangen. Leider habe ich schon oft beobachtet, dass die Personen auf der Bühne nicht zu merken scheinen, dass sie völlig aneinander vorbei reden. Für sie scheint es ein logisches Stück zu sein. Ich sitze dann im Publikum und hoffe, dass die da oben bald merken, was für eine seltsame Show sie da abliefern. Auch wenn ich manchmal gerne eingreifen würde, hat am Ende jede Person ihr eigenes Tempo. Und wer weiß, wie oft ich schon so eine schräge Show aufgeführt habe, während andere daneben standen und sich gefragt haben, was ich da eigentlich mache…

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