Erwachsen werden
- Franzi C
- 5. Juli 2024
- 3 Min. Lesezeit
Wie viele, viele andere habe ich Alles steht Kopf 2 im Kino gesehen – sogar zweimal. Und wie bei den meisten Pixar–Filmen habe ich geweint. Denn mit ihrem Film über das Erwachsen werden und was das so für Gefühle mit sich bringt, haben sie das, was viele fühlen oder gefühlt haben, gekonnt auf die große Leinwand gebracht. Ein Satz aus dem Film ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben. Es war der Moment, in dem Freude bei ihrem Versuch, Zweifel aus dem Weg zu räumen, zur Erkenntnis kam, dass es zum Erwachsen werden einfach dazu gehört, dass man weniger Freude und mehr Zweifel fühlt. Das hat mich nachdenklich gemacht.
Ich glaube, es gibt zwei Arten von Erwachsenen: Zum Einen die, für die ihre Kindheit die schönste Zeit des Lebens war, und zum Anderen die, die froh sind, dass diese Zeit endlich vorbei ist. Ich gehöre zur zweiten Gruppe, aber dazu später mehr. Für die Menschen mit der schönen Kindheit beginnt mit der Pubertät und dem älter werden die Zeit, in der ihr Leben schwieriger und ihre Freude weniger wird. Die unbeschwerte Zeit endet und Probleme kommen ungefragt zur Tür herein. Das Erwachsen werden ist für sie ein Downgrade. Die fehlende Freude wird später mit Nostalgie ausgeglichen. Nur zu gern denken sie an die gute, alte Zeit zurück. Sie freuen sich auf Klassentreffen, weil sie dort einen ganzen Abend damit verbringen können, zusammen mit anderen eine gedankliche Zeitreise zu machen und wieder ein Stück ihrer alten Freude zu fühlen.
Die zweite Gruppe hingegen hatte diese schöne, unbeschwerte Kindheit nicht. Ihre Kindheit bestand darin, sich eine bessere Zukunft auszumalen und darauf zu warten, dass sie endlich älter werden. Für sie bringt die Pubertät nur noch mehr Gefühle, die sie verdrängen müssen, weil sie vor lauter Problemen gar nicht wissen, wohin damit. Das Erwachsen werden ist ein lang ersehntes Upgrade, das sie auf keinen Fall gegen ihre Vergangenheit eintauschen wollen. Sie können daher auch nicht so viel mit Nostalgie anfangen wie die erste Gruppe. Wenn auf einem Klassentreffen die Anderen von der guten alten Zeit reden, fühlen sie sich so fehl am Platz wie ein Nilpferd im Theater. Und obwohl sie als Erwachsene die Scherben ihrer Kindheit auffegen müssen, können sie das zumindest in aller Ruhe machen, ohne dass jemand mit seinen Problemen dazwischen funkt und vielleicht noch neue Scherben dazu packt.
Im Großen und Ganzen ist das Erwachsen werden eine Erweiterung des Blickes und der eigenen Gefühlspalette. Je nachdem, was man vorher gesehen und gefühlt hat, kann das Fluch oder Segen sein. Am Ende sind Gefühle aber vor allem das, was man daraus macht. Da ich zu den Menschen gehörte, die von all ihren Gefühlen bereits als Kind überfordert war, habe ich das unangekündigte Pubertätsupdate natürlich verdrängt. Meine Emotionen waren abgedeckelt und alles fühlte sich irgendwie taub an. Aber das war der einzige Weg, mit dem Chaos in meinem Zuhause klar zu kommen. Als ich dann Erwachsen war und mein lang ersehntes, besseres Leben lebte, standen die ganzen alten Gefühle vor der Tür. Das war ein bisschen wie in dem Schnecken–Witz, in dem eine Schnecke von einem Balkon im zweiten Stock herunter geschmissen wurde, dann mühsam die Treppen hochkriecht und, nachdem sie zwei Jahre später endlich dort ankommt, an der Tür klingelt und fragt, was das eben war. Genauso überraschend kamen meine unterdrückten Gefühle in den unpassendsten Momenten hoch und verstärkten meine eigentlichen, aktuellen Gefühle um ein Vielfaches. Und ich war verwirrt. Verwirrt, weil die Menge der Emotionen nicht mehr zu dem passten, was gerade geschah. Denn die Gefühle, die andere nach und nach bearbeiten können, habe ich auf einmal bearbeiten müssen. Wie eine Sachbearbeiterin, die drei Monate lang im Urlaub war und nun einen riesigen Stapel Papier vor sich hat. Mich durch den Berg an Gefühlen durchzuarbeiten, war sehr anstrengend und immer wieder war ich überfordert. Ehrlicherweise geht es mir manchmal heute noch so. Aber wie Tom Felton in seiner Biografie so schön schrieb (frei übersetzt aus dem Englischen): „Ich hatte meine Emotionen zurück und jetzt sie feuerten aus allen Rohren. Einige Emotionen waren gut. Einige waren schlecht. Aber alles war besser, als nichts zu fühlen.“ Amen!
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