Cycle–Breaker
- Franzi C
- 19. Juli 2024
- 3 Min. Lesezeit
Ich bin ein Cycle–Breaker. Ich habe den Kreislauf (= Cycle) meiner Familie durchbrochen. Gemeint ist der Kreislauf von ungesunden Verhaltensweisen, der sich seit Generationen durch meine Familie zieht. Aber woran merkt man das und warum wird man zum Cycle–Breaker. Darum soll es in diesem Artikel gehen.
Zuerst sollte ich erklären, was ich überhaupt mit dem Begriff Cycle–Breaker meine.
Es ist kein offizieller Begriff aus der Psychologie, sondern eher ein umgangssprachlicher, der aber meiner Meinung nach den wesentlichen Kern des Ganzen sehr gut trifft. Es beschreibt die Menschen, die die Verhaltensmuster und Denkweisen, mit denen sie aufgewachsen sind, hinterfragen, statt sie einfach zu übernehmen. Es sind vor allem ungesunde Verhaltensweisen, die von Generation zu Generation unverändert weitergegeben werden. Ein Cycle–Breaker identifiziert diese Verhaltensmuster und entscheidet sich mehr oder weniger bewusst dazu, diese nicht zu übernehmen. Der Kreis(lauf) ist dafür ein sehr passendes Bild, denn niemand in dem Kreis weiß, wo er anfängt oder endet. Stattdessen bewegt man sich die ganze Zeit in der selben Bahn, in der sich schon die Eltern, Großeltern und alle vor ihnen bewegt haben. Alle erwarten, dass ihre Kinder sich ihnen anschließen und jahrelang ihre Kreise drehen, so als wären sie gefangen in einem nie endenden Formel 1–Rennen. Ich hingegen stand eher am Rand und habe mich – wie bei der echten Formel 1 übrigens auch – gewundert, was die da eigentlich die ganze Zeit machen.
Für mich gab es keinen konkreten Moment, in dem ich gemerkt habe, dass ich ein Cycle–Breaker bin. Es war eher ein immer stärker werdendes Gefühl, dass ich anders bin als der Rest meiner Familie. Am Anfang habe ich die Dinge hauptsächlich unbewusst anders gemacht. Manchmal habe ich in Gesprächen anders reagiert, als es von mir erwartet wurde. Ich merkte dann, dass etwas nicht stimmte, aber ich wusste nicht, warum. Irgendwann habe ich angefangen, Sachen, „die schon immer so waren“, zu hinterfragen, denn was für alle anderen so logisch schien, war für mich nur seltsam und fehlerhaft.
Stellt sich noch die Frage, wieso ich Cycle–Breaker war. Ich glaube, es war die heilige Dreifaltigkeit der Persönlichkeitsentwicklung: ehrliche Reflexion, Empathie und Zeitungsartikel über Psychologie. Zusammen haben sie mich davor beschützt, zu tief in den Kreislauf rein zu geraten. Mit der Zeit habe ich gemerkt, wie sehr mich das Verhalten meiner Familie verletzt. Empathie und die Zeitschriftenartikel haben mir dann geholfen, zu verstehen, warum sie es tun. Dadurch habe ich schon früh gemerkt, dass deren Umgang nichts mit mir zu tun hat und sie nicht aus reiner Boshaftigkeit so handeln. Ich habe auch verstanden, dass es immer einen Grund gibt, warum Menschen sich so verhalten, wie sie es tun, und es für sie selbst immer sinnvoll und richtig ist. Die Intellektualisierung (= man fokussiert sich auf die Logik, um die eigenen Gefühle zu vermeiden) dessen, was passiert ist, hat mir geholfen, es zu verarbeiten. Und anstatt das Erlebte runterzuschlucken, als normal zu abzuspeichern und irgendwann zu reproduzieren, habe ich beschlossen, dass ich nicht möchte, dass sich andere wegen mir auch so fühlen. Für mich hatten die ungesunden Kreisläufe einen Stempel, auf dem stand: SO NICHT! Durch die Reflexion habe ich mich selbst hinterfragt und die Verhaltensweisen der Anderen nach und nach auch bei mir entdeckt. Es ist keine schöne Erkenntnis, bei sich selbst ein Verhalten zu bemerken, von dem man weiß, was es bei anderen auslöst, und von dem man sich geschworen hat, es nicht zu kopieren. Aber wenn man sich weiterentwickeln will, ist diese Erkenntnis unerlässlich. Glücklicherweise ist die Erkenntnis aber auch schon die halbe Miete. Das Schwerste hat man dann hinter sich. Dann musste ich mir nur noch überlegen, wie ich mich stattdessen verhalten möchte. Am Ende ging das nur, in dem ich Neues ausprobiert habe und dabei viel Geduld hatte bzw. immer noch habe, denn das ist ein laufender Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist.
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