Die Erschöpfung nach dem Trauma
- Franzi C
- 2. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Nachdem ich mich in den letzten Jahren tagtäglich mit meinen Kindheitstraumata auseinandergesetzt habe, bin ich froh, dass nun langsam Ruhe einkehrt. Die Therapie ist vorbei und ich bin sogar schon dabei, mein Antidepressivum abzusetzen. Ich merke, wie mein Nervensystem sich langsam beruhigt. Mein Kopf wird frei und ich bin mehr im Hier und Jetzt. Aber seit einigen Wochen merke ich eine gewisse Müdigkeit. Und langsam wird mir klar, woher die kommt.
In meinen ersten 16 Lebensjahren war ich wortwörtlich im Überlebensmodus. Ich war jeden Tag damit beschäftigt, Schadensbegrenzung zu betreiben. Bei jedem Schritt habe ich überlegt, was ich tun muss, damit es meinen Eltern besser geht. Denn wenn ich versage, laden sie ihre Emotionen bei mir ab und ich sitze am Ende wieder alleine weinend in meinem Zimmer.
Als ich dann ausgezogen bin, begann ich, wegzurennen. Ich rannte weg vor meiner Vergangenheit, den Problemen, meinen Eltern, meinen Gefühlen, meinen Bedürfnissen, einfach vor allem. Ich habe damals zwar schon einen kleinen Teil meiner Probleme verarbeitet, aber wie sich später herausstellte, sollte das nur die Kirsche auf meiner Trauma-Torte sein.
Ich rannte bis ich 28 war. Ja, ich bin 12 Jahre lang gerannt. Natürlich nur bildlich gesprochen, aber das machte es nicht weniger anstrengend. Mit 28 entschied meine Psyche, dass sie nicht mehr wegrennen will. Ich blieb also stehen und meine Vergangenheit holte mich kurz danach ein. Und nicht nur das. Sie schlug mich k.o. und trat auf mich ein, auch als ich schon längst am Boden lag.
Als ich dann meine Therapie begann, war schnell klar, die nächsten Jahre werden kein Sonntagsspaziergang oder wenigstens ein Sprint. Nein, die nächsten Jahre werden ein Marathon. Dabei war ich doch schon fix und fertig vom Überleben und dem Wegrennen. Wie konnte das sein, dass ich jetzt noch weiter kämpfen musste? Ich hatte doch jetzt schon keine Kraft mehr. Aber ich entschied mich dazu, weiter zu machen. Auch wenn ich auf dem Boden liege und nur noch kriechen kann. Zurück war keine Option mehr. Zurück hätte bedeutet, wieder in mein Hamsterrad zurückzukehren. Ich wäre wieder die ganze Zeit gerannt, ohne jemals die Chance zu haben, irgendwo anzukommen.
Und so kämpfte ich mich irgendwie durch die Therapie. Schritt für Schritt. Immer nur so weit, wie es meine Kraft zugelassen hat. Zwischendurch brauchte ich immer wieder Pausen. Es gab Therapiestunden, nach denen ich mich zwei Tage lang erholen musste. Es ist schwer zu erklären, aber mentale Arbeit ist unglaublich anstrengend und macht einen körperlich müde.
Irgendwann kam zum Glück der Zeitpunkt, an dem es mir besser ging. All die Arbeit hat sich gelohnt und ich sah das Licht am Ende des Tunnels. Mittlerweile ist mein Heilungsprozess nicht mehr so anstrengend und läuft fast von selbst. Ich bin immer überrascht, wenn ich wieder merke, dass sich etwas zum Positiven verändert hat.
Irgendwann stellte ich fest, dass ich auch wieder mehr Kraft habe. Ich brauchte weniger Schlaf und hatte tagsüber trotzdem mehr Energie. Aber wie schon oben erwähnt, merke ich in letzter Zeit, dass ich wieder mehr Erholung brauche. Ich glaube, jetzt ist es so, als wär der Marathon der Therapie endgültig vorbei und mein Körper muss nicht mehr rennen und nicht mehr kämpfen. Er kann jetzt zum ersten Mal einfach nur daliegen und muss nichts mehr machen. Ich muss nirgendwo hin, weil ich endlich da bin, wo ich die ganze Zeit immer hinwollte.
Und wie ich das gerade so aufschreibe, fällt mir auf, was für ein wunderschönes Gefühl das eigentlich ist! Wie nach einem tatsächlichen Marathon, bin ich am Ziel angekommen und kann jetzt nach Hause fahren, um mich zu erholen. Ich habe nur nicht damit gerechnet, dass ich nach meinem mentalen Marathon so müde sein werde. Und trotzdem überrascht es mich nicht, wenn ich genau darüber nachdenke. Es ist, als hätte ich bisher in einer übervollen Disco gearbeitet. Alles war laut, hektisch und vieles passierte gleichzeitig. Und jetzt ist es, als würde ich in einer Buchhandlung arbeiten. Es ist viel ruhiger und leiser. Es passieren natürlich immer noch Dinge gleichzeitig, aber die sind nur das ganz normale Leben.
Mein Körper hat aufgehört, mehr Kraft aufzubringen, als er eigentlich hat, weil er es auch nicht mehr muss. Der Kampf ist vorbei. Ich muss auch nicht mehr rennen, sondern kann einfach in normaler Schrittgeschwindigkeit weitermachen. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum ich mir so müde und träge vorkomme. Im Vergleich zu vorher bin ich ja auch träge und langsamer. Aber das liegt daran, dass ich vorher ein zu schnelles und zu anstrengendes Leben hatte. Das Langsame, was ich jetzt erlebe, ist eigentlich das Normale und Gesunde.
Ich muss mich aber erstmal daran gewöhnen, mich jetzt endlich nicht mehr so sehr anstrengen zu müssen. Das zeigt sich auch in meinen zwischenmenschlichen Beziehungen. Zum ersten Mal in meinem Leben gebe ich eine gewisse Menge Zeit/Liebe/Zuneigung in eine Beziehung hinein und bekommen dieselbe Menge von all dem zurück. Ich muss nicht mehr tonnenweise von allem geben, um vielleicht eine Hand voll zurück zu bekommen. Na, daran gewöhne ich mich doch gerne!
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