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Ein Leben ohne Angst

  • Autorenbild: Franzi C
    Franzi C
  • 18. Apr.
  • 4 Min. Lesezeit

Ich hatte mein ganzes Leben lang Angst und das leider zurecht. Ich bin mit Angst aufgewachsen. Sie hat mich bis in mein Erwachsenenleben verfolgt. Aber in letzter Zeit scheint es so, als würde sich die Angst auflösen und mein Nervensystem sich beruhigen. Denn es gibt mittlerweile Momente, in denen ich mich wirklich sicher fühle.


Im Idealfall entsteht das Gefühl der inneren Sicherheit in der Kindheit. Es wird ein mentales Haus gebaut, in dem man sich Zuhause fühlen kann. Die Eltern sorgen für das Fundament, legen die Ziegelsteine übereinander, bauen Fenster und Türen ein und machen das Dach regensicher. Wenn es dann mal draußen stürmt, blitzt und donnert, ist das egal, denn man sitzt drinnen im Warmen und ärgert sich höchstens darüber, dass man nach dem Gewitter das Laub im Garten wieder zusammenfegen muss.


Mein mentales Haus gleichte eher der heulenden Hütte aus Harry Potter und der gefangene von Askaban. Alles war krumm und schief und mit ziemlicher Sicherheit einsturzgefährdet. Die Dielen knarzten, die Fenster und das Dach waren undicht. Es war dreckig und die Nachbarn waren sich sicher, dass es manchmal im Haus spukt. In so einem Haus fühlt man sich nicht mal sicher, wenn draußen die Sonne scheint.


Mit so einem Haus war ich die gesamte Kindheit damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass es nicht weiter verfällt und, wenn möglich, ab und zu mal ein kaputtes Fenster zu reparieren. Das war aber gar nicht so leicht, wenn meine eigene Familie hinter meinem Rücken immer wieder mit einem Hammer auf die Möbel, Wände und Türen einschlägt, bis sie irgendwann nicht mehr brauchbar sind und ebenfalls repariert werden müssen. Dass ich mich in der Zeit nicht einmal um den Garten kümmern konnte und der deshalb in demselben Zustand ist wie das Haus, muss ich wahrscheinlich nicht extra dazu sagen.


So, jetzt aber genug mit meinem metaphorischen Geisteszustand! Was ich damit bildlich, wenn auch etwas umständlich sagen will, ist: Ich hätte das Wort Sicherheit nicht mal buchstabieren können. Ich hätte sie nicht mal erkannt, wenn sie vor mir gestanden und mir eine Backpfeife verpasst hätte. Oder anders gesagt: Ich hatte Angst. Angst, dass das Haus zusammenfällt. Angst, dass noch mehr passiert. Angst, dass zu viel kaputt ist und ich es in meinem Leben nicht mehr schaffe, es zu reparieren. Ich hatte Angst vor Neuem, vor Altem, vor Schönem, vor Hässlichem, vor Kleinem, Großem und Mittelgroßem. Ich hatte Angst vor allem. Und das zurecht, denn bisher hatte ja jede Person in meinem Leben die Chance genutzt, um mir zu schaden.


Ab einem bestimmten Punkt nennt man das dann Angststörung. Ich fühlte mich nirgendwo sicher, nicht mal Zuhause, und jeder Schritt nach draußen bedeutete Stress. Selbst Dinge wie einkaufen gehen, zur Zahnärztin fahren oder mit Freundinnen einen Kaffee trinken gehen, lösten Stress aus. Mein Gehirn versuchte, sich vorzustellen, was passieren könnte, egal wie unwahrscheinlich es war, dass es tatsächlich passierte. Denn wenn ich vorher schon alle möglichen und unmöglichen Szenarien durchgehe, bin ich vorbereitet und kann nicht mehr überrascht werden. So dachte ich zumindest. Die Realität sah aber anders aus. Ich war davor und währenddessen angespannt, denn es könnte ja auch möglich sein, dass etwas passiert, woran ich gar nicht gedacht habe.


Erst als ich mich von der Freundin verabschiedet, den Einkauf nach Hause gebracht und den Arzttermin hinter mich gebracht habe, hat die Anspannung nachgelassen. Als ich meine Gedanken und meine Gefühle in den letzten Jahren beobachtet habe, ist mir aufgefallen, dass ich nach solchen Terminen immer überrascht war, dass ja gar nichts Schlimmes passiert ist. Ich und der Einkauf sind sicher Zuhause angekommen und auch meine Freunde haben nicht plötzlich während des Treffens angefangen, mich zu beleidigen.


Seit einiger Zeit merke ich aber eine Veränderung. Meine Angst wird kleiner, ist nicht mehr so laut und schlägt nicht mehr sofort Alarm. Sie ist mittlerweile leiser und meldet sich oft als Letztes. Mein Leben fühlt sich vorhersehbarer an. Wenn ich mich mit Freundinnen treffe, ist mein Gedanke nicht mehr ‚mal sehen, ob alles gut geht‘, sondern ‚Ich weiß, dass alles gut geht‘.


Denn mein mentales Haus ist mittlerweile größtenteils repariert. Es regnet nicht mehr rein, alles ist stabil und im Garten steht sogar ein Blumenbeet. Ich wusste nie, ob der Tag tatsächlich mal kommen würde, aber scheinbar kommt man mit den Reparaturen sogar ganz gut voran, wenn einem die eigene Familie nicht mehr hinterrücks in die Arbeit pfuscht und manchmal sogar die Freunde mit anpacken.


Übersetzt ins echte Leben bedeutet das, dass es Menschen in meinem Leben gibt, die in den letzten Jahren bewiesen haben, dass sie immer für mich da sind und sie auch bei Problemen nie anfangen würden, mich schlecht zu behandeln. Bei ihnen kann ich so sein, wie ich bin, auch wenn ich manchmal selbst noch nich weiß, wie das im Einzelnen aussieht.


Ich bin als Person gefestigter und weiß, wann etwas sicher ist und wann nicht. Und das allein gibt mir auf eine komische Art Sicherheit. Denn selbst, wenn ich weiß, dass wahrscheinlich etwas Unvorhersehbares passieren wird, gehe ich nicht so weit weg von meinem inneren Haus, damit ich im Zweifelsfall schneller wieder in Sicherheit bin. Wenn eine Situation vorhersehbar ist, kann ich weiter vom Haus weg und mich mal in der Nachbarschaft umsehen oder sogar in eine andere Stadt fahren.


Dadurch, dass ich erwachsen wurde und von meiner Familie weggezogen bin, konnte ich anfangen, die längst überfälligen Reparaturen ungestört zu erledigen, ohne dass währenddessen ständig neue Dinge kaputt gingen. Meine To do-Liste wurde immer kleiner. Nun lebe ich im Hier und Jetzt. So kann ich mich um das kümmern, was der Alltag so mit sich bringt, ohne dass im Hinterkopf noch die alte Liste darauf wartet, abgearbeitet zu werden.


Es erstaunt mich fast täglich, wie leicht es sich lebt, wenn man nicht mehr beim Anblick eines neuen Problems in Panik gerät, weil man chronisch überarbeitet ist vom permanenten Lösen der alten Probleme und man befürchtet, dass jedes neue Problem eins sein könnte, an dem man nun endgültig zerbricht. Oder anders gesagt: Ein Leben ohne Angst ist einfach toll!

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