Empathie für alle!
- Franzi C
- 11. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Empathie ist etwas Schönes. Sich in andere Menschen einfühlen zu können, ist eine hilfreiche Fähigkeit. Sie ermöglicht uns, die Seite der Anderen zu sehen und auch zu verstehen. Im Idealfall hilft sie dabei, uns daran zu erinnern, dass wir eben doch nicht immer Recht haben. Ich musste aber irgendwann lernen, dass Empathie allein leider nicht reicht.
Zuerst möchte ich aber den Begriff Empathie klären. Empathie ist ein Gedankenexperiment, bei dem ich überlege, wie es mir oder anderen in einer bestimmten Situation gehen würde oder warum sich eine Person so verhält, wie sie es tut. Während sich Mitgefühl und Mitleid hauptsächlich auf die Gefühlsebene konzentrieren, ist Empathie eher eine gedankliche Übung. Empathie kann natürlich auch Mitgefühl herbeiführen, das muss sie aber nicht. Diese Unterscheidung ist wichtig für die Kontexte, in denen ich ausschließlich von Empathie und eben nicht von Mitgefühl rede.
Es gab eine Zeit in meinem Leben, da war es für mich geradezu überlebenswichtig, mich in andere hineinversetzen zu können. Denn ich bin mit Eltern aufgewachsen, die sich höchstens morgens im Spiegel reflektiert haben. Und vielleicht habe ich damals schon tief in mir gespürt, dass ihr Verhalten wenig bis gar nichts mit mir zu tun hat. Auf jeden Fall habe ich früher schon gerne darüber nachgedacht, warum Menschen sich verhalten, wie sie es eben tun. Jeder Zeitungsartikel, der mir unter die Finger gekommen ist, jedes Gespräch, jeden Fernsehbeitrag über die menschliche Psyche habe ich konsumiert und abgespeichert.
Das alles hat mir dann geholfen, meine Eltern besser zu verstehen oder zumindest ansatzweise den Sinn hinter ihrem Verhalten zu erkennen. Ich konnte sie ja schließlich nicht fragen, denn mein Vater war irgendwann gar nicht mehr da und für meine Mutter waren immer alle Schuld außer sie. Eine echte, wenigstens halbwegs reflektierte Antwort hätte/habe ich von keinem bekommen - übrigens auch nicht Jahre später, als ich als Erwachsene das Gespräch gesucht habe. Also musste ich mich selbst auf die Suche machen.
Es war der verzweifelte Versuch, der wahren Antwort so nah zu kommen, wie nur möglich. Diese exzessive Empathie war für mich das Licht am Ende eines Tunnels voller Ignoranz, Schuldzuweisung und Aggression. Wahrscheinlich habe ich gehofft, wenn ich nur lang genug suche, finde ich eine Entschuldigung oder etwas, was dafür sorgen kann, dass es mir nicht mehr so schlecht geht. Als wäre es ein Schatz, der tief in meinem Gehirn vergraben darauf wartet, dass ich ihn irgendwann finde. So verbrachte ich also meine gesamte Kindheit auf der endlosen Suche nach Hinweisen, die mich meinem Ziel ein Stück näher bringen können. Nur leider bin ich nie am Ziel angekommen und einen Schatz habe ich auch nicht gefunden.
Irgendwann musste ich erkennen, dass es diese verborgene Entschuldigung einfach nicht gibt. Und eine echte Entschuldigung gab es auch nie. Bei manchen Menschen ist die Hoffnung drauf, dass da doch noch etwas kommen wird, so groß, dass sie ihr ganzes Leben warten. Wie bei den Altenheimen mit einer falschen Bushaltestelle, an der die alten Menschen vergeblich auf einen Bus warten, der aber nie kommt, bis sie dann schließlich von einer Pflegekraft wieder nach drinnen begleitet werden. Und wer kann es ihnen verübeln? Weder bei der Bushaltestelle noch bei der Entschuldigung steht irgendwo ein Schild, auf dem steht, dass das alles nur eine leere Versprechung ist.
Ich habe mich aber irgendwann dazu entschieden, meinen eigenen Lebensweg zu gehen und mit dem zu arbeiten, was ich habe. Denn selbst die stärkste Empathie der Welt ersetzt keine echte Entschuldigung, kein klärendes Gespräch und kein verändertes Verhalten der Gegenübers. Empathie ist wie ein rechter Schuh. Ohne ein passendes Gegenstück ist sie zwar schön, aber leider auch ziemlich sinnlos. Und auf lange Sicht ist es gesünder, sich eine schöne Ist-Seite aufzubauen, als verbittert auf die Soll-Seite zu starren, in der Hoffnung, dass sich da nochmal etwas ändert.
Im Laufe der Zeit habe ich verstanden, dass meine Empathie nicht nur für andere da ist, sondern auch für mich. Denn auch ich verhalte mich ja irgendwie und auch bei mir gibt es dahinter ein Warum. Alle Menschen machen Fehler und die meisten passieren nicht aus einer Boshaftigkeit heraus. Und zu „Alle Menschen“ gehöre ich eben auch. Auch ich trete mal daneben, einfach weil ich es noch nicht besser weiß und ich nicht vor jedem Satz und jeder Handlung stundenlang überlegen kann, wie ich mich jetzt am besten verhalte.
Ich überlege immer noch gerne, warum sich meine Mitmenschen so verhalten, wie sie es tun, aber nicht mehr als Ersatz für eine Entschuldigung, sondern weil es mich interessiert und es mir auch hilft, mich selbst besser zu verstehen. Denn auch ich war Teil des Gesprächs und habe etwas dazu beigetragen, dass es so gelaufen ist.
Viel wichtiger als das Warum ist mir das, was das Verhalten über die Beziehung aussagt. Werde ich noch respektiert? Wird mir noch auf Augenhöhe begegnet? Arbeiten wir beide gleichermaßen daran, dass die Beziehung gelingt und für uns beide schön ist/bleibt? Folgt das negative Verhalten einem Muster oder hatte die Person nur einen schlechten Tag? Denn all die Empathie, die in meinem Kopf als Gedankenübung entsteht, ist eben auch nur das: Eine Theorie, eine Übung und ein Vielleicht. Das Verhalten der anderen Person und die Beziehung zu ihr passiert ja tatsächlich und wiegt mehr als jede Überlegung.
Comments