Ein Teil von mir
- Franzi C
- 24. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
Es gibt Momente, in denen ich nicht weiß, wie lange ich diesen Blog noch haben werde. Mir macht das Schreiben sehr viel Spaß und es ist schön, meine Erfahrungen mit andern zu teilen, aber manchmal denke ich, dass mir bestimmt bald die Themen ausgehen werden. Nachdem ich gefühlt 2000 verschiedene Perspektiven auf meine Kindheit hatte, ist doch auch schon alles betrachtet und beschrieben, oder? Ich meine, irgendwann muss doch mal das letzte Wort dazu gesagt sein. Irgendwann muss Schluss sein. Aber ist das wirklich so?
Ich würde nichts lieber tun, als alles hinter mir zu lassen und nie wieder über all das nachdenken zu müssen. An den meisten Tagen ist das auch so. Es gibt Tage, da fühlt es sich so an, als wäre nie etwas passiert. Mein Leben fühlt sich leicht und unbeschwert an. Es ist dann genauso wie in den kitschigen Filmen und Serien von früher. So wie ich es mir immer gewünscht habe. Mit lieben Menschen, bei denen ich mich sicher fühle und mit denen sich jedes Treffen, egal wie lang es war, viel zu kurz anfühlt.
Aber dann gibt es eben doch ab und zu Momente, in denen ich noch eine 2001. Perspektive entdecke. Oder ich werde wieder daran erinnert, dass meine Kindheit anders war. Ich wurde vor ein paar Jahren mal gefragt, ob ich an Weihnachten zu meinen Eltern fahre. Ich kannte die Person noch nicht so gut, also sagte ich: „Ja, ich fahre zu meiner Familie.“ Dabei bin ich an Weihnachten noch nie zu meinen Eltern gefahren, sondern immer zum Rest meiner Familie. Denn für mich sind Familie meine Großeltern, meine Tante, mein Onkel, meine Schwestern, meine Großcousine und deren Familie. Es sind eben alle außer meine Eltern. Also sage ich, dass ich meine Familie besuche, weil das normaler und nicht ansatzweise so kaputt klingt, wie es in der Realität ist. Dann kommen immerhin auch keine verwunderten Blicke oder Nachfragen, auf die ich keine Lust habe. Das ist übrigens bis heute so.
Ja, mein Leben ist so schön und so leicht wie noch nie zuvor. Aber zur ganzen Wahrheit gehört eben auch, dass diese Leichtigkeit einen hohen Preis hatte und ich sie mir hart erarbeiten musste. Und egal, wie viel Therapie ich gemacht habe oder wie viel Zeit vergeht, nichts macht meine Kindheit ungeschehen. Diese wichtige Zeit, die doch so schön und unbeschwert sein soll, wurde mir mit Gewalt genommen und ich kriege sie auch nie wieder zurück. Zeit scheint eben doch nicht, alle Wunden zu heilen.
Eine verlorene Kindheit ist wie ein Loch, dass ich nicht mehr füllen kann. Egal wie viele schöne Erfahrungen ich jetzt und in Zukunft mache. Egal wie viele tolle Freundinnen ich habe. Es ist, als wäre mein linkes Bein gebrochen und man versucht, einen Verband um das rechte Bein zu legen.
Ich werde nie wissen, wie es ist, liebende Eltern zu haben, die mich bedingungslos bei allem unterstützen. Ich werde auch nie wissen, wie es ist, ein sorgenfreier Mensch zu sein, der keine Verantwortung für etwas trägt und der einfach Dinge machen kann, ohne darüber nachzudenken. Denn so können sich nur Kinder verhalten. Außer ich. Ich sollte mich um die Bedürfnisse meiner Eltern kümmern und meine eigenen unterdrücken. Nur Eines sollte ich nicht: Einfach Kind sein.
Und jetzt als Erwachsene habe ich ständig irgendwelche Erwachsenenaufgaben zu erledigen. Ich kann vielleicht mal für einen Nachmittag oder ein Wochenende so tun, als wäre es nicht so, aber früher oder später muss ich mich halt doch wieder verantwortungsbewusst benehmen.
Ich werde auch nie wissen, wie es ist, nostalgisch und verträumt an die Stadt zu denken, in der ich aufgewachsen bin. Ich nenne diese Stadt auch nie, wenn mich jemand fragt, wo ich herkomme. Ich nenne immer die Stadt, in der meine Familie wohnt und die sich neun Kilometer nördlich meines Elternhauses befindet. Und auch das wird wohl immer so bleiben.
Ich weiß auch nicht, ob ich mich jemals nicht so fühlen werde, als würde ich in meinem Leben hinterherhinken. Ich habe ständig das Gefühl, dass ich schon viel weiter sein müsste und dass ich zu viel Zeit für meine Entwicklung brauche. Irgendwie stimmt das ja auch. Ich mache jetzt Erfahrungen, die andere mit 10, 14 oder 20 Jahren machen. Eine scheiß Kindheit bedeutet nicht nur, dass die Kindheit weg ist, sondern auch einige Jahre des Erwachsenenlebens, in denen man damit beschäftig ist, die Dinge von damals aufzuarbeiten oder nachzuholen. Währenddessen können andere in Ruhe Karriere machen, eine Familie gründen oder die Welt bereisen.
Vielleicht ist es auch etwas viel verlangt, wenn meine ersten 16 Lebensjahre und meine Eltern in dem Rest meines Lebens so gar keine Rolle mehr spielen sollen. Ich weiß nicht mal, ob sowas überhaupt möglich ist. Meine Kindheit und meine Eltern gehören nun mal zu mir, auch wenn ich meine Kindheit verarbeitet und zu meinen Eltern keinen Kontakt mehr habe. Es ist auch unmöglich, diesen Themen bis ans Ende meines Lebens aus dem Weg zu gehen. In Gesprächen mit anderen, in Filmen oder in Büchern kommen solche Dinge immer wieder vor.
Und es ist auf jeden Fall zu viel verlangt, wenn ich in meinem Leben genauso weit und schnell sein soll wie andere, die keine oder weniger Hindernisse auf ihrem Weg hatten. Man würde ja auch nie von einem Kind mit fünf Hausaufgaben verlangen, dass es die genauso schnell erledigt wie ein anderes Kind, das nur eine Hausaufgabe hat.
Meine Vergangenheit ist wie eine Warze an meinem Arsch. Oder eher wie Herpes. Sie wabert immer unter der Oberfläche, bricht aber nur manchmal aus und verschwindet dann auch wieder nach kurzer Zeit. Und wahrscheinlich werde ich noch eine 2238. und 3178. Perspektive auf meine Kindheit entdecken, einfach weil ich älter werde, neue Erfahrungen mache und mich weiterentwickeln werde.
Meine Vergangenheit wird immer ein Teil von mir sein. Und manchmal werde ich deswegen einen schlechten Tag oder ein Problem haben, das andere nicht haben. Diese Momente helfen mir dann aber auch dabei, mich und andere besser zu verstehen. Und zumindest brauche ich mir dann auch keine Sorgen machen, dass mir die Themen für diesen Blog ausgehen :)





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