Enttäuscht vom Guten
- Franzi C
- 15. Nov. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Als ich mich mit den Geistern meiner Vergangenheit beschäftigt habe, ging es nicht nur darum, das Geschehene zu verarbeiten. Es ging auch darum, neue (wenn möglich bessere) Erfahrungen zu machen. Das ist aber gar nicht so einfach, denn das Gehirn leitet aus den bisherigen Erfahrungen Vorhersagen für die Zukunft ab. Wir denken dann: ‚Bisher lief das immer so ab, also wird es dieses mal auch genauso sein.‘ Und das sogar, wenn ich eigentlich wusste, dass alles dagegen sprach, dass es nochmal so laufen würde. Ich hatte einfach Angst vor dem Neuen und vor dem Guten.
Das klingt jetzt bestimmt erstmal unlogisch, ist es aber gar nicht, wenn man genauer hinsieht. Ich wurde in meiner Kindheit nicht gut behandelt und das von den Leuten, die mich in die Welt gesetzt haben und mich deswegen eigentlich sogar besser behandeln müssten als alle anderen. Den liebevollen Umgang mit Kindern kannte ich nur aus dem Fernsehen. So etwas hatten nur die anderen. Es war weit weg von mir, quasi unerreichbar. Ich war mir nicht mal sicher, ob es sowas überhaupt im echten Leben gibt.
Als ich dann Weg von all dem mir ein neues Umfeld aufgebaut habe, habe ich gemerkt, dass sich Menschen ja auch ganz anders verhalten können. Es gab plötzlich Menschen, die nett zu mir waren, ohne mich bei der nächstbesten Gelegenheit wieder runterzumachen. Ich lernte Menschen kennen, die es gut mit mir meinten, ohne mich später hinter meinem Rücken schlecht zu reden oder etwas im Gegenzug dafür zu verlangen. Ich hatte auf einmal Menschen in meinem Leben, mit denen nicht alles zum Kampf wurde und bei denen ich nicht jederzeit Ausschau nach der nächsten Falle halten musste.
So schön, wie es sich anhört und eigentlich sein sollte, war es aber nicht. Schließlich kannte ich dieses neue Schöne gar nicht. Ich wusste nur, wie ich ständig auf der Hut sein kann, weil ich damit rechnen musste, dass etwas Schlimmes passieren würde. Ich wusste auch, wie ich meine Gefühle verdrängen musste, wenn dann mal wieder der Ernstfall eingetreten ist. Ich wusste, wie ich mich von anderen fern halten kann, um nicht verletzt zu werden. Ich konnte alle Dinge mit mir selbst ausmachen und mir selbst helfen wie keine Zweite. Und ich wusste, wie ich möglichst misstrauisch anderen gegenüber treten kann, um ihnen nicht zu sehr zu vertrauen und weitere Verletzungen zu vermeiden. Ich habe über die Jahre einen Turm aufgebaut, der mich beschützte und von dem aus ich meine Feinde schon von Weitem sehen konnte. Ich war gewohnt, in einem positiven Text einen negativen Subtext zwischen den Zeilen zu suchen und ihn auch zu finden.
Was ich bei all dem harten Training irgendwann nicht mehr konnte, war Menschen vertrauen und eine tiefe Freundschaft/Partnerschaft/etc. aufbauen. Ich wusste einfach nicht mehr, wie das geht. Wie reagiere ich auf Menschen, die sich nie so verhalten, wie ich es erwartete? Was mache ich, wenn ich bereit zum Kampf bin und mein Schwert schon in der Hand habe, aber mein Gegenüber mir nur sagen will, wie sehr er mich mag? Wie lasse ich Menschen an mich heran, während ich hoch oben in meinem mühsam errichteten Turm festsitze, weil ich vergessen habe, eine Treppe nach unten einzubauen? Was mache ich, wenn ich felsenfest davon überzeugt bin, dass eine Freundin nur die letzten fünf Jahre so nett zu mir war, damit sie mich bei diesem Treffen nur noch größer beleidigen kann, aber das dann gar nicht passiert und sie mich weiterhin gut behandelt? Was mache ich, wenn die andere Person mich nicht traurig, sondern glücklich macht? Ich hatte keine Ahnung, wie man sich dann verhält. Mich zuhause einsperren, mir die Augen ausweinen und mir selbst sagen, dass es bestimmt irgendwann besser wird, scheint da irgendwie nicht mehr die passende Lösung zu sein. Auf einmal war der Text zwischen den Zeilen mindestens genauso positive wie die Zeilen selbst.
Ich war irgendwie enttäuscht von meinem Umfeld. Es klingt bescheuert, aber es war halt so. Meine Freunde verhielten sich nicht so, wie ich es von ihnen erwartete. Darauf war ich nicht vorbereitet. Ich war verwirrt und musste auf einmal improvisieren. Ich war gewohnt, dass auf minimal gutes Verhalten eine Menge schlechtes Verhalten folgt. Wenn also jemand auf einmal viel gutes Verhalten zeigt, musste das ja bedeuten, dass noch viel, viel mehr schlechtes Verhalten folgen muss. Diese Vorstellung ist extrem beängstigend, denn ich wusste, wie sehr mich die frühere, verhältnismäßig kleine Menge an schlechtem Verhalten fertig gemacht hatte. Wenn diese Menge nun proportional größer wird, wird es für mich unmöglich, das noch auszuhalten.
Aber zum Glück blieb die riesige Menge schlechtes Verhalten ja aus. Und wieder haben mich meine Freunde enttäuscht. Wie konnten sie mir nur sowas antun?! Wenn wir Freunde wären, würden sie sowas gar nicht machen! Das dachte ich zumindest. Dabei wird erst umgekehrt ein Schuh daraus. Eben weil sie wirklich meine Freunde sind, würden sie sich nie so verhalten. Mittlerweile sind diese Enttäuschungen eher zu angenehmen Überraschungen geworden. Diese Woche hatte ich sogar das erste Mal ein Treffen, bei dem ich mich von Anfang an einfach nur sicher bei der Person fühlte - ohne Überraschungen oder Enttäuschungen. Und mittlerweile weiß ich sogar, wie ich mich da verhalten muss :-)
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