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Erwartungen

  • Autorenbild: Franzi C
    Franzi C
  • 3. Jan.
  • 4 Min. Lesezeit

Erwartungen machen uns das Leben oft schwerer, als es sein müsste. Manchmal sind es ausgesprochene Erwartungen, aber manchmal stehen die auch eher zwischen den Zeilen. Und manchmal bilden wir uns diese Erwartungen auch nur ein. Manchmal sind es auch unsere Erwartungen an andere, die uns stressen, besonders dann, wenn die Anderen sie nicht erfüllen.


Ich war neulich bei einer Ärztin, um die Ergebnisse eines Bluttests auszuwerten. Ich war zufrieden mit mir, da ich seit einigen Monaten merkte, wie sich die Signale meines Körpers deutlich verändern und ich große Schritte in Richtung eines gesünderen Lebensstils machte. Der Bluttest sagte übrigens das Gleiche. Aber meiner Ärztin war es nicht genug. Ihre einzige Frage war, ob ich Gewicht verloren hatte. Ich sagte „Nein“, sie sagte „Schade“.    


Es brauchte nur ein Wort und schon fühlte ich mich wie eine Versagerin. Ich merkte, wie ich im Verlauf des Gesprächs immer trauriger wurde und ich gegen meine Tränen ankämpfen musste. Mit einem Wort katapultierte meine Ärztin mich zurück in meine Kindheit, in der für mich immer viel höhere Maßstäbe galten als für alle anderen und in der ich dadurch bei allem, was ich tat, vom vornherein zum Scheitern verurteilt war. Mir ist schon klar, dass das so nicht von ihr beabsichtigt war. Für meinen Hintergrund kann sie ja nichts. Aber sie kann etwas dafür, dass sie mich auf mein Körpergewicht reduziert. Und solange das nicht weniger wird, bin ich für sie ganz klar gescheitert.


Das ist nur ein Beispiel von vielen. Ständig haben andere oder wir selbst Erwartungen an uns und die bestehen dann nur daraus, dass wir ein bestimmtes Ziel erreichen. Es scheint egal zu sein, von wo wir starten, welchen Weg wir nehmen und wie viele Steine auf ihm liegen. Wir werden nur danach beurteilt, ob wir das Ziel zu einem gewissen Zeitpunkt erreicht haben. Egal, ob es Hausaufgaben in der Schule, Klausuren im Studium oder Aufgaben auf der Arbeit oder im Haushalt sind. Was zählt, sind die Ergebnisse. Die Person, die stundenlang an einer Aufgabe gesessen hat, die ihr schwer fällt, und dann die Aufgabe nicht vollständig erledigt, wird immer weniger Anerkennung bekommen als die Person, der die Aufgabe leicht viel und die sie in fünf Minuten erledigt hat, einfach weil unser Fokus auf dem Endergebnis liegt.


Diese viel zu einfache Denkweise führt dann dazu, dass wir irgendwann anfangen, die Welt in schwarz und weiß, richtig und falsch, gut und böse, Salz und Pfeffer einzuteilen. Zwischen diesen Kategorien bleibt kein Raum mehr für Fehler oder Umwege. Bei mir ging das irgendwann so weit, dass ich selbst meine Erfolge nicht mehr als solche sehen konnte. Ich sagte mir dann Dinge wie: „Ja, die Prüfung hast du jetzt mit 1 bestanden, aber du hast auch wirklich lange gebraucht, um das Thema zu verstehen. Es hätte auch sein können, dass du durchfällst.“ Was zur fickenden Hölle ist denn das für eine Logik?


Die Erwartungen an mich selbst war nur Kritik getarnt als Erwartung. Denn egal, was ich erreicht habe, ich durfte einfach nicht zufrieden mit mir sein. Ich hatte ja auch nie gelernt, wie das geht. Im Zweifelsfall hab ich die Erwartung schnell noch nachträglich nach oben korrigiert, um dann einen Grund zu haben, mich schlecht zu finden.


Erwartungen an uns selbst und an andere sind perfekt, wenn wir mal wieder so richtig enttäuscht werden wollen. Erwartungen legen den Fokus auf das Ergebnis. Und wie das ausfällt, ist abhängig von so vielen Faktoren, die außerhalb unserer Kontrolle sind. Ich kann zwar rechtzeitig zuhause losfahren, aber wenn ich vom Stau oder von S-Bahn-Verspätungen überrascht werde, komme ich trotzdem zu spät. Wenn unser Partner ein Date genau nach unseren Wünschen plant, kann es trotzdem sein, dass wir die Nacht davor nicht gut geschlafen haben oder die Arbeit an dem Tag besonders stressig war. Dann können wir das Date nicht richtig genießen können und wir sind enttäuscht, weil es nicht so schön war, wie wir es uns vorgestellt haben.


Mittlerweile versuche ich, meinen Blick nicht mehr auf das Endergebnis, sondern auf den Weg zu richten. Die Frage lautet nicht mehr „Wie komme ich so schnell wie möglich ans Ziel?“, sondern „Als was für ein Mensch möchte ich am Ziel ankommen?“. Möchte ich die Prüfung nur bestehen oder möchte ich das Thema auch wirklich verstehen? Möchte ich einfach so schnell wie möglich irgendeinen Job oder möchte ich einen Job, der mir gefällt und in dem ich ich selbst sein kann? Möchte ich einfach nur abnehmen oder möchte ich mich mit mir und meinem Lebensstil auseinandersetzen und und gut mit meinem Körper umgehen?


Ziele stehen nun mal nie in einem luftleeren Raum. Jeder Mensch brauch einen anderen Weg, um zum Ziel zu gelangen. Und während wir auf dem Weg sind, nimmt unsere Umwelt Einfluss auf uns - bei manchen mehr, bei anderen weniger.


Dann nur anhand des Zieles zu entscheiden, ob wir zufrieden mit uns sein dürfen, ist weder gerecht noch sinnvoll, sondern nur zum Scheitern verurteilt. Es lenkt den Blick zu sehr auf unsere Fehler, die wir doch eigentlich vermeiden wollten, statt auf das, was wir auf dem Weg dahin gelernt haben. Dabei sind Fehler meist lehrreicher als Erfolge. Oder um es mit den Worten von Florian Schroeder zu sagen:


„Und bitte, versucht nie wieder, fehlerfrei zu sein. Auf dem Drahtseil der Fehlerangst kann man nur balancieren, aber nicht tanzen. Wer tanzen will, muss das Drahtseil gegen den festen Boden unter den Füßen eintauschen.“ (Florian Schroeder in Frauen. Fast eine Liebeserklärung)

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