Ich bin mehr als das
- Franzi C
- 28. Feb.
- 3 Min. Lesezeit
Wir alle haben mal Probleme, Sorgen oder Krankheiten. Meist verschwinden die Probleme schnell wieder und die meisten Krankheiten sind heilbar oder zumindest behandelbar. Aber manchmal gibt es Phasen im Leben, da scheint man nur aus einem Problem oder einer Krankheit zu bestehen. Die Probleme werden so groß, dass alles andere keinen Platz mehr im Leben hat. Früher haben mir solche Phasen sehr zu schaffen gemacht. Aber mittlerweile kann ich damit ganz gut umgehen und ich lasse mich nicht mehr so leicht von den Problemen verschlingen.
Aber von vorne. Ich bin seit viel zu langer Zeit auf Jobsuche. Ich bin qualifiziert, habe auch schon ein Job-Coaching hinter mir, schreibe regelmäßig Bewerbungen und habe jeden Tipp schon dreimal gehört. Trotzdem werde ich nur selten zu Interviews eingeladen. Das ist frustrierend und greift auf Dauer den eigenen Selbstwert an. Die öffentliche Diskussion über das Bürgergeld und die, die es bekommen, belastet mich (und sicher auch viele andere) zusätzlich. Wer könnte auch ahnen, dass es Menschen runterzieht, wenn man sie ständig als faule Sozialschmarotzer darstellt, die sich ein tolles Leben auf Staatskosten machen. Die Realität sieht natürlich anders aus. Denn ich lebe unter dem Existenzminimum, das bedeutet, jede Rechnung löst unglaublichen Stress bei mir aus und ich kriege schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich mit einer Freundin Kaffee trinken gehe oder beschließe, mein sechs Jahre altes, kaputtes Handy durch ein generalüberholtes neues zu ersetzen.
Zu den finanziellen Problemen kommt dann noch die fehlende Tagesstruktur und die Tatsache, dass man einfach nichts sinnvolles mehr zur Gesellschaft beiträgt. Da ist es sehr leicht, morgens einfach nicht mehr aufzustehen und den ganzen Tag Chips essend Trash-TV zu schauen. Da meine Mutter in meiner Kindheit ziemlich genau das gemacht hat, weiß ich sogar sehr gut, wie das geht. Aber da ich mir damals schon geschworen habe, nicht so zu werden wie sie, ist das für mich keine Option. Und außerdem mag ich keine Chips.
Das einzige, was mich davor bewahrt, einfach aufzugeben, sind meine Hobbys und meine Freunde. Sie erinnern mich daran, dass ich mehr bin als mein Job und dass sich mein Selbstwert nicht dadurch definiert, ob ich einen habe oder nicht. Auch wenn die Leistungsgesellschaft, in der wir leben, das Gegenteil behauptet, bin ich mehr als mein Job. Ich bin eine gute Freundin, eine große Schwester, eine okaye Klavierspielerin und Sängerin, eine SchleFaZerin, ein Hufflepuff, eine Blog-Schreiberin, eine Buchleserin, eine Joggerin und manchmal auch eine Malerin.
Weder für meine Freundinnen noch für meine Bücher ist es wichtig, dass ich einen Job habe. Denn die vertrauten Gespräche mit Freunden, die die Zeit mit mir genauso genießen, wie ich die mit ihnen, und die Geschichten in den Büchern und auch die Noten, die ich singe, sind nicht plötzlich wertlos, nur weil ich nicht arbeite. Der Job ist eben nur eine Seite des Lebens und solange ich keinen habe, konzentriere ich mich auf die vielen anderen, schönen Seiten, die mein Leben so zu bieten hat.
Es hat einige Zeit gedauert, bis ich das alles verstanden habe. Früher habe ich mich sogar mit Job wertlos gefühlt. Das lag an dem depressiven Anteil meiner Persönlichkeit, den mir meine Eltern zur Geburt geschenkt haben. Der wurde irgendwann so groß, dass ich alles nur noch durch einen dunkelgrauen Schleier sehen konnte. Alles schien finster und farblos, bis ich immer mehr Personen in meinem Leben hatte, die mir gezeigt haben, dass die Welt hinter dem Schleier ganz anders aussieht, nämlich bunt, manchmal hell und manchmal eben auch dunkel.
Ähnlich wie bei meiner aktuellen Job-Situation, habe ich irgendwann verstanden, dass ich mehr bin als mein depressiver Anteil. Ich bin eben nicht nur depressiv, sondern auch lustig, empathisch, kindlich, laut, neugierig, sportlich, faul, intelligent, ruhig, entspannt, ängstlich und vieles mehr. Und je mehr Seiten ich entdecke, desto kleiner und schwächer wird der depressive Anteil. Mit dieser Perspektive lässt es sich sogar mit größeren Problemen gut leben.
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