Nähe und Distanz
- Franzi C
- 6. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Seitdem ich vor einiger Zeit Schulz von Thun gelesen habe, denke ich öfter mal über die Themen Nähe und Distanz nach, denn ich hatte immer schon Probleme, die beiden Dinge in eine gute Balance zu bringen. Obwohl es mir immer besser gelingt, bin ich noch nicht bei der richtigen Dosierung angekommen. Das Schwierigste war für mich immer, eine echte Nähe aufzubauen statt eine Art Fake-Nähe.
Aber von Anfang an. Was meine ich bzw. Schulz von Thun mit Nähe und Distanz? Unter den Begriff Nähe fallen natürlich Dinge wie körperliche Nähe, aber auch alles, was einen Kontakt oder eine Verbindung herstellt, also auch ein Anruf, eine Nachricht, ein Geschenk, eine Einladung zum Geburtstag, Gemeinsamkeiten, zusammen verbrachte Zeit und auch Gespräche, in denen man ehrlich ist und sich verletzlich zeigt, auch wenn man Angst vor der Reaktion der Anderen hat oder einem etwas peinlich ist.
Distanz ist alles, was einen Kontakt verhindert bzw. Bedingungen an die Beziehung stellt. Dazu gehört Zeit, die man ohne die andere Person verbringt, oder auch den Anruf nicht anzunehmen, wenn man sich gerade nicht voll auf die andere Person einlassen kann. Dazu gehört aber auch Wünsche für das geplante Treffen zu äußern bzw. zu sagen, was man nicht machen möchte, oder abzusagen, wenn es einem nicht gut geht. Und zu Distanz gehört auch, dass man in Gesprächen eine eigene Meinung hat und mit der anderen Person darüber spricht, wenn man ein Problem mit (einer Aussage von) ihr hat. Das Problem zu lösen, stellt dann aber wiederum Nähe her.
Und was meine ich mit Fake-Nähe? Das ist das, was ich früher hergestellt habe, weil ich Angst hatte, echte Nähe herzustellen. Es ist die billige Kopie von Nähe. Dazu gehören sich mit Männern einlassen ohne eine Beziehung zu führen, oberflächliche Gemeinsamkeiten und keine eigene Meinung haben bzw. nie zu sagen, wenn man ein Problem mit der anderen Person hat. All das habe ich gemacht, damit mich meine Mitmenschen mögen und es keine Probleme gibt.
Aber genau in der fehlenden Echtheit und der Oberflächlichkeit besteht das größte Problem von allen. Denn dadurch habe ich den Anderen nie gezeigt, wer ich wirklich bin und was mich bewegt. Um echte Nähe herzustellen, muss man aber genau das tun. Nur wenn man die unangenehmen Dinge anspricht und auf den Tisch bringt, kann man sie gemeinsam abarbeiten und einen Weg finden, damit umzugehen. Gemocht zu werden, ist einfach. Geliebt zu werden, ist schwer und es gibt viele Hindernisse, an denen ich früher gescheitert bin.
Ich bin daran gescheitert, weil ich Angst hatte. Angst davor, dass die Leute mein echtes Ich nicht mögen. Aber vor allem Angst davor, was passiert, wenn ich mehr gemocht, sondern geliebt werde. Als Kind hatte ich schließlich gelernt, dass ich für ein kleines bisschen Zuneigung einen großen Preis bezahlen muss. Der Preis hieß, verletzt und abgewertet zu werden und andere über meine Grenzen treten zu lassen. Wie bei einem Spielautomaten, wo man Tausende Euro einwirft, um dann vielleicht mal Hundert Euro zu gewinnen. Es war ein mieses Tauschgeschäft, bei dem ich immer die war, die verloren hat.
Dann ist es doch logisch, dass ich irgendwann dachte, bei größerer Zuneigung müsste der Preis, den ich bezahlen muss, ebenso stark ansteigen. Das heißt, die Abwertungen werden mehr und die Anderen würden noch mehr Grenzen von mir übertreten. Und das hätte ich einfach nicht ausgehalten! Es gab ja so schon kaum eine Grenze, die bis dahin noch nicht übertreten wurde. Es wäre auch schwer gewesen, noch eine Beleidigung zu finden, die ich als Kind noch nicht gehört oder durch das Verhalten meiner Familie gespürt habe. Als Jugendliche und Erwachsene gab es dann nichts mehr an mir, was ich noch gut fand und worüber ich nicht schlecht dachte.
Ich wurde gemocht. Warum auch nicht? Ich hatte kaum Grenzen, war immer nett, habe mich nie beschwert, habe alles für andere gemacht und dafür nie etwas gefordert. Aber geliebt wurde ich nicht. Wie auch? Mein echtes Ich habe ich ja nicht gezeigt und es hat ehrlicherweise auch nie jemanden interessiert. Also schwamm ich im flachen Wasser der Oberflächlichkeiten. Immer nah am Ufer, sodass ich selbst da jederzeit schnell wieder raus komme. So ist man immer sicher, kann kaum verletzt werden, aber so ist man eben auch immer auf Distanz, obwohl man eigentlich Nähe will.
Als ich dann irgendwann Menschen traf, die wissen wollten, wer ich wirklich bin und die bereit waren, mich mit all meinen Macken zu lieben, hatte ich eben genau die schon erwähnte Angst vor dem Preis, den ich dafür zahlen muss. Aber nicht nur das. Ich war auch verwirrt, weil ich mittlerweile davon überzeugt war, ich hätte es gar nicht verdient, so behandelt zu werden. Und ich war verwirrt, weil mir nicht so richtig klar war, wer oder was mein echtes Ich eigentlich ist. Wie die Irrwichte bei Harry Potter, von denen niemand weiß, wie wie wirklich aussehen, weil sie ihr Aussehen an die Person anpassen, die mit ihnen im Raum ist.
In den letzten Jahren habe ich Stück für Stück herausgefunden, wer ich bin, wer ich sein will und wer mich in meinem Umfeld auch genauso sein lässt. Vor kurzem stellte ich fest, dass ich bei den richtigen Menschen sogar noch mehr ich sein möchte. Bei ihnen will ich neue Dinge ausprobieren. Dinge, die mir Angst machen, und die früher auf jeden Fall schief gegangen wären, aber jetzt dazu führen, dass ich mich der anderen Person wieder ein Stückchen näher fühle.
Seit einiger Zeit merke eine Nähe, die um einiges tiefer geht, als die Fake-Nähe von früher. Das Schöne ist, dass ich die echte Nähe jetzt auch zulassen kann, denn heute weiß ich, dass ich sie auch verdiene und eigentlich auch schon immer verdient habe. Ich habe auch nicht mehr das Gefühl, mir die Zuneigung erkaufen zu müssen. Denn jetzt habe ich Leute um mich herum, die mir dasselbe entgegenbringen wie ich ihnen. Und auch das ist echte Nähe.
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