Shreks Werkzeugkoffer
- Franzi C
- 12. Dez.
- 4 Min. Lesezeit
Manchmal, wenn die Dinge nicht so laufen, wie ich es gerne hätte, frage ich mich: Warum passiert mir das jetzt? Habe ich nicht schon genug erlebt? Kann jetzt nicht mal alles glatt gehen? Im Kern stimmt das ja auch. Eigentlich hätte ich ein Anrecht auf ein stressfreies Leben, in dem sich alle meine Wünsche erfüllen und alles beim ersten Mal gelingt. Also, wo kann ich dieses Leben beantragen? Und wer würde entscheiden, ob ich wirklich schon genug gelitten habe? Gebe es eine eigene Behörde? Entscheidet das der Bundestag oder macht das Friedrich Merz persönlich?
Wenn man davon ausgeht, dass jede Person eine gewisse Menge an Krisen im Leben bekommt - die Einen früher, die Anderen später -, dann hätte ich auf jeden Fall schon genug Krisen für eine Lebenszeit abgearbeitet. Ich habe meinen Soll erfüllt und hätte jetzt theoretisch längst Feierabend. Ich würde meine Überstunden abbummeln und würde allen meinen Freunden jeden Tag Postkarten aus den schönsten Städten oder dem Harry Potter-Park in Florida schicken. Aber so funktioniert das leider nicht.
Es ist der Frust eines kleinen Kindes, dass unfair behandelt wurde und denkt, die anderen Kinder hätten keine Probleme. Es will sich nicht mehr von anderen abgehängt fühlen und dass alle gleich behandelt werden. Aber auch so sehen die Spielregeln des Lebens nicht aus. Schon die Annahme, dass „die anderen Kinder“ keine Probleme hätten, ist schlichtweg falsch. Alle haben Probleme. Bei dem Einen sind sie größer, bei der Anderen sind sie kleiner. Die Einen reden den ganzen Tag darüber, dass sie morgens ihren Kaffee verschüttet haben, während die Anderen noch beim Ertrinken im Meer ihren Mitmenschen versichern, dass auch wirklich alles in Ordnung ist.
Dieser Frust hat zum Glück auch eine Kehrseite. Wenn man mit 32 schon Krisen hinter sich hat, die andere in ihrem ganzen Leben nicht erleben müssen, schafft das nicht nur Frust und Verletzlichkeit, sondern auch viele Werkzeuge für schlechte Zeiten und die Selbstsicherheit, für jede Situation das richtige Hilfsmittel wahrscheinlich bereits im Koffer zu haben.
In der Psychologie nennt man das Resilienz. Das ist die Fähigkeit, mit Stress und neuen Lebensumständen klar zu kommen. Wer resilient ist, kann sich anpassen und kommt durch die Krise, ohne aufzugeben. Wer Probleme in der Schule hat, sucht sich Nachhilfe. Wer wenig Geld zur Verfügung hat, versucht zu sparen. Wer Rückenschmerzen vom ständigen Sitzen hat, geht in der Mittagspause oder abends eine Runde spazieren. Wer psychische Probleme hat, geht zur Therapie. Um nur einige Beispiele für resilientes Verhalten zu nennen.
Resilienz zeigt sich also in vielen großen und kleinen Momenten. Sie ist auch nicht das Gegenteil von Frust oder dem Wunsch, aufgeben zu wollen. Sie ist aber das Gegenteil davon, tatsächlich aufzugeben. Ich würde mich als ziemlich resilient bezeichnen. Und trotzdem habe ich bei manchen Problemen als Erstes den Impuls, mich in meinem eigenen Selbstmitleid zu baden und einfach aufzugeben.
Manchmal fühlt es sich so an, als ob mir jemand absichtlich mein Leben schwer machen will. Im Fall von meinen Eltern war das früher ja auch so, aber der Rest der Welt hat sich sicherlich nicht heimlich gegen mich verschworen. Der österreichische Kommunikationspsychologe Paul Watzlawick nennt das den Glauben an einen geheimen Spielleiter. Wir denken, jemand steuert unser Leben. Bei den Einen ist es ein Gott oder das Karma, bei den Anderen sind es geheime Eliten, die Grünen oder die Französisch-Lehrerin.
Die geheimen Spielleiter sind weniger gruselig als der Zufall, auf den niemand einen Einfluss hat. Die Spielleitung, ob bekannt oder unbekannt, hätte zumindest einen Plan. Auch wenn wir den nicht kennen, könnten wir uns darauf verlassen, dass wir irgendwann den Sinn ebenfalls erkennen werden. Wie ein Tourguide in einer fremden Stadt, dem wir einfach blind folgen, weil wir davon ausgehen, dass er uns nicht seine Grundschule oder den abgeranzten Park neben dem Einkaufszentrum zeigen wird, sondern die schönen und historisch wichtigen Plätze der Stadt.
Wenn ich das Gefühl habe, jemand oder alle sind gegen mich, gibt mir das zumindest einen mehr oder weniger konkreten Gegner gegen den ich ankämpfen kann. Dabei kämpfe ich höchstens gegen den Zufall oder meine eigenen Gedanken. Vielleicht mache ich das auch, damit ich den Gedanken ans Aufgeben auslagern kann. Wenn ich denke, jemand anders möchte, dass ich aufgebe, setzt bei mir automatisch eine bockige Anti-Haltung ein. Ich werde nicht etwas tun, nur weil jemand anders das von mir fordert. Dann heißt es: Ich gegen den Rest der Welt. Wie einer der Avengers. Oder Shrek.
Aber schon kurz nach dem anfänglichen Selbstmitleid und der darauf folgenden Rebellion setzt dann mein gesunder Menschenverstand ein. Dann folgt die Akzeptanz für diese Absurdität des Lebens und die nach innen gerichtete Frage: Möchte ich ein Mensch sein, der sofort aufgibt und dadurch automatisch zum Scheitern verdammt ist? Die Antwort ist ein ganz klares Nein. Ich bin schon an einigen Dingen gescheitert, aber immer erst nachdem ich alles versucht habe. Denn auch das gehört zum Leben dazu. Sich Mühe zu geben, bedeutet leider nicht, dass man auch alles schafft, was man sich vorgenommen hat.
Deshalb möchte ich ein Mensch sein, der zumindest alles versucht und sich nach dem Scheitern ohne schlechtes Gewissen im Spiegel ansehen kann. Denn genau das ist Resilienz. Es zumindest versucht zu haben. Ich kann nicht verhindern, zu scheitern, aber ich kann verhindern, beim ersten Hindernis aufzugeben.
Und so wird mein Leben zwar nicht leichter, aber ich werde geübter darin, mit schwierigen Situationen umzugehen. Der Frust verschwindet vielleicht nicht, aber er dauert nur noch eine halbe Stunde statt einer halben Woche. Die Frage nach dem Aufgeben stellt sich mittlerweile auch nicht mehr jeden Morgen, sondern nur noch alle 2 Monate. Wer einmal einen Marathon gerannt ist, für den sind ein paar Runden um den Block schließlich auch kein großes Problem mehr.
Dieser Krisenmodus macht natürlich überhaupt keinen Spaß. Aber das macht Geschirr abwaschen auch nicht. Schließlich wäscht man ja auch nicht ab, weil es so lustig ist, sondern damit man danach wieder sauberes Geschirr hat. Genauso ist das bei Problemen auch. Man löst sie, damit sie verschwinden und es einem danach wieder besser geht.
Und meist lerne ich sogar noch etwas dabei. Manchmal kommt bei mir doch noch ein neues Werkzeug für meinen Koffer dazu. Manchmal lerne ich etwas über mich oder über andere. Aber auf jeden Fall wird dadurch meine Liste an bereits erlebten und gefühlten Dingen immer länger und damit auch meine Empathie und mein Mitgefühl. Diese beiden Dinge machen mich am Ende zu einer besseren Schwester und Freundin. Und alleine dafür lohnt sich das alles schon!





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