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Warum wir Rache wollen

  • Autorenbild: Franzi C
    Franzi C
  • 13. Sept. 2024
  • 4 Min. Lesezeit
„Rache ist eine Handlung, die man begehen möchte, wenn und weil man machtlos ist: Sobald aber dieses Gefühl des Unvermögens beseitigt wird, schwindet auch der Wunsch nach Rache.“ (Paul Watzlawick)

Dieser Satz hat mich nachdenklich gemacht, als ich ihn zum ersten Mal gelesen habe. Und je länger ich über ihn nachdenke, desto mehr fällt mir auf, wie wahr er ist. Paul Watzlawick war Professor der Psychotherapie. Daher ist es nicht verwunderlich, dass seine Erkenntnisse zur menschlichen Psychologie Hand und Fuß haben. Aber auch wenn ich auf meinen eigenen Heilungsweg zurückblicke, fällt mir auf, welche große Rolle Rache bei mir am Anfang spielte und wie sie mit der Zeit immer kleiner wurde und schließlich verpuffte. Auf diesen Weg will ich euch heute mitnehmen.


Mein Heilungsweg begann mit einer großen Menge Wut und Trauer. Trauer darüber, dass ich die glücklichen Erinnerungen an meine Kindheit an einer Hand abzählen kann, und Wut darüber, dass mir andere diese Suppe eingebrockt haben, aber sie mir jetzt nicht mal dabei helfen, sie wieder auszulöffeln. Zu sagen, dass mich diese Emotionen überfordert haben, wäre eine starke Untertreibung. Ich stand wie die Kuh vor dem sprichwörtlichen Scheunentor. Wobei eine Kuh das Scheunentor wahrscheinlich jeden Tag sieht. Vielleicht schläft sie auch nachts in der Scheune und weiß daher genau, wie es hinter dem Tor aussieht. Ich dagegen stand eher wie die Kuh vor einem kaputten Toaster. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was los war, und selbst wenn mir jemand die richtigen Werkzeuge hingelegt hätte, hätte ich sie mit meinen Hufen gar nicht bedienen können. Wobei ich mich da ehrlicherweise gar nicht so sehr von der Kuh unterscheide, denn selbst mit meinen Händen könnte ich den Toaster nicht reparieren. Ich stand also da wie ich vor einem kaputten Toaster.


Ein Kanal für meine Wut war damals unter anderem die Rachegedanken. Manchmal wünschte ich mir, meine Eltern wären in einer Apparatur aus Saw gefangen und könnten nur frei kommen, wenn sie ihre Fehler einsehen und sich bei mir entschuldigen. Und manchmal habe ich mir ausgemalt, wie ich meine Eltern in eine dschungelcampartige Situation stecke. Die beiden Menschen, die sich selbst 20 Jahre nach ihrer Trennung noch so sehr hassten, dass sie ihre Gefühle an mir ausgelassen haben, zusammen auf engstem Raum hätte gereicht, damit sie sich irgendwann gegenseitig zerfleischen. Es ist als würde man Dolores Umbridge und die maulende Myrte in einen Raum sperren. Sie sind einzeln schon kaum zu ertragen und zusammen wären sie ein hochexplosives Nervigkeitsfeuerwerk. Und niemand könnten sie so sehr nerven wie die jeweils andere Person.


Die Rachegedanken gaben mir das Gefühl, dass ich etwas gegen meine Ohnmacht und meine Hilflosigkeit tun könnte, auch wenn es nur in meiner Fantasie war. Es gab mir auch das Gefühl, sie bestrafen zu können und dadurch die Konsequenzen ihres Handelns nicht alleine tragen zu müssen. Unsere Wut ist gut und wichtig, denn sie gibt uns die Energie, etwas gegen unsere missliche Lage zu unternehmen. Wut verteidigt unsere Grenzen und Bedürfnisse und beschützt uns vor weiterem Schaden. Rachegedanken sind dabei wie ein Werkzeug, dass uns bei der Selbstverteidigung hilft.


Der Nachteil von starken Emotionen ist allerdings, dass wir nur noch auf sie reagieren und so eine passive Rolle einnehmen. Sie verbrauchen all unsere Kraft, sodass wir gar keine Gelegenheit haben, in eine aktive Rolle zu schlüpfen, was die sowieso schon gefühlte Ohnmacht natürlich nur noch weiter bestärkt. Dagegen helfen auch die kreativsten Rachegedanken nicht. Denn auf Dauer lenken sie den Blick weg von uns und hin zu anderen Personen, die wir aber gar nicht beeinflussen können. Und selbst, wenn wir die anderen wirklich bestrafen könnten, würde das überhaupt nichts an unserer Situation ändern. Wenn jemand anderes ein Auto hat und ich habe keins, kann ich zwar sein Auto kaputt machen, aber ich selbst stehe dann immer noch ohne Auto da. Das einzige, was wirklich hilft, ist, den Blick auf sich zu richten und an sich zu arbeiten.


So wurden mit der Zeit meine Rachegedanken immer weniger. Je mehr Selbstwirksamkeit ich zurück gewonnen habe, desto weniger wurde die Wut und die anfängliche Ohnmacht. Versteht mich nicht falsch. Wenn mir jemand erzählen würde, er will meine Eltern auf unbestimmte Zeit in einen Raum sperren, würde ich die Person auf keinen Fall davon abhalten. Ich würde der Person vielleicht sogar ein Alibi geben, wenn mal jemand nachfragen sollte, aber ich würde mir selber nicht die Hände schmutzig machen. Dafür sind mir meine Eltern nicht mehr wichtig genug.


Mein aktuelles Leben ist geprägt davon, mich frei zu entfalten und so zu leben, als hätten meine Eltern nie einen Einfluss auf mich gehabt. Und das ist wahrscheinlich die größte Bestrafung für meine Eltern. Denn dadurch, dass sie nicht mehr Teil meines Lebens sind, haben sie niemanden mehr, an dem sie all ihren unbearbeiteten Hass auslassen können und den sie klein machen können, um sich selbst größer zu fühlen. Und so bleibt ihr Hass weiter in ihnen drin und frisst sie irgendwann auf. Sie werden ihre Probleme erst los, wenn sie sie lösen. Solange das nicht der Fall ist, rennen sie immer wieder gegen dieselben Hindernisse, selbst wenn ich gar nicht da bin.

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