Die richtige Menge Angst
- Franzi C
- 9. Aug. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Angst ist mein ständiger Begleiter. Wie ein Pickel am Arsch hängt er immer an mir dran und stört mich mal mehr und mal weniger. Früher war die Angst so groß, dass sie mich gelähmt hat. Mittlerweile tut sie das nicht mehr. Ich habe quasi genau die richtige Menge Angst. Was für mich die richtige Menge Angst ist und woran ich sie erkenne, erfahrt ihr hier.
Vor ein paar Jahren war meine Angst so groß, dass ich nicht mal die normalsten Dinge machen konnte. Ich hatte Angst, meinen Freundinnen zu schreiben, weil ich dachte, schon eine Nachricht von mir wäre zu viel. Ein Satz würde sie bereits an ihre Grenzen bringen. Auch wenn wochenlang Funkstille herrschte, dachte ich, jetzt eine Nachricht zu schreiben, wäre zu früh. Ich dachte, meine Freunde bräuchten regelmäßig eine Pause von mir, weil ich einfach so anstrengend bin. Sie waren nur zu höflich, um es mir zu sagen. In meiner Überzeugung war ich zu laut, zu nervig, zu traurig, zu anhänglich, zu unsicher - kurzum: Von allem zu viel. Dann auf „Senden“ zu drücken, kostete mich große Überwindung. Was für andere ein Fallschirmsprung ist, war für mich eine Nachricht an eine Freundin. Manchmal war die Angst so groß, dass ich sie gar nicht schaffte, sie zu überwinden. Den größten Hindernissen bin sogar komplett aus dem Weg gegangen.
Mittlerweile habe ich mich so oft der Angst gestellt, dass sie mit der Zeit immer kleiner wurde. Aktuell habe ich in solchen Situationen oder vor neuen Erfahrungen genau die richtige Menge Angst. Ich weiß, viele denken jetzt, dass gar keine Angst die richtige Menge wäre. Normalerweise stimmt das auch. Aber diesen Zustand gibt es bei mir nicht. Ich habe noch nie den Nullpunkt auf der Angstskala erreicht, dafür aber schon häufiger das obere Ende. Ich wüsste auch gar nicht, ob ich irgendwann schon mal in der Nähe des Nullpunkts war. Wahrscheinlich würde ich ihn nicht mal erkennen, wenn er zwei Meter groß wäre und vor mir stünde.
Die richtige Menge Angst bedeutet für mich also: Sie ist so groß, dass ich sie wahrnehme und mich vielleicht auch etwas überwinden muss, aber eben nicht mehr so groß, dass sie mich lähmt und handlungsunfähig macht. Sie ist wie ein kleiner Pfeil, der mir die Richtung weist. Sie zeigt in die Richtung, die mir hilft, mich weiterzuentwickeln. Im Gegensatz zu der schweren Angst von damals ist es eine leichte Angst, die nur sagt, dass sie sich vor dem Neuen fürchtet, aber auch weiß, dass das Neue etwas Gutes ist. Was bisher wie ein Fallschirmsprung war, ist jetzt wie ein Sprung vom Dreier im Schwimmbad: Er brauch etwas Mut, fühlt sich aber nicht mehr lebensgefährlich an.
Früher dachte ich auch, ich muss den emotionalen Fallschirmsprung unbedingt durchziehen und darf es mir zwischendurch nicht anders überlegen. Ganz nach dem Motto: Wer A sagt, muss auch B sagen. Heute beim Sprung vom Dreier weiß ich, dass ich jederzeit umkehren kann. Sei es auf dem Weg zum Sprungturm, auf der Leiter hoch zur Plattform und sogar, wenn ich schon auf der Plattform stehe. Wer A sagt, kann danach auch einfach nichts mehr sagen. Man kann auch einen ganz anderen Buchstaben sagen oder vielleicht eine Zahl.
Ich habe mich mittlerweile ganz gut daran gewöhnt, dass ich wahrscheinlich immer etwas Angst haben werde. Es ist in Ordnung, dass ich mir in jeder Situation die möglichen Worst-Case-Szenarien ausmale. Ich weiß aber auch, dass sie nur in meinem Kopf existieren und dass die Realität oft viel banaler und langweiliger ist als meine Fantasie. Schulz von Thun spricht von einem inneren Team, dass in einer gedanklichen Teamsitzung jede Situation bespricht und überlegt, was zu tun ist. Früher war meine Angst wie eine selbstverliebte Teamleitung, die die anderen nie zu Wort kommen ließ und findet, dass ihre Meinung immer die Beste ist. Heute ist sie ein Teammitglied, dass eben zusammen mit vielen anderen am Tisch sitzt und ihre Meinung kundtut, aber einen vergleichsweise kleinen Redeanteil hat. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass es gut ist, ihre Bedenken im Hinterkopf zu haben, aber sie über alles bestimmen zu lassen, führt nirgendwo hin, wo es schön ist.
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