top of page

Überraschung: Ich nerve ja gar nicht

  • Autorenbild: Franzi C
    Franzi C
  • 2. Aug. 2024
  • 3 Min. Lesezeit

In den letzten Jahren war ich immer wieder überrascht davon, wie sehr mich mein Umfeld mag. Mir ist klar, dass das jetzt erstmal komisch klingt. Lasst mich erklären, was ich damit meine. Ich bin mit Eltern aufgewachsen, die mich eigentlich gar nicht wollten und die mir das jeden Tag aufs Neue gezeigt haben. Was dann daraus entstanden ist, nennt man in der Psychologie Urschuld. Meine Eltern haben mir das Gefühl gegeben, dass ich nur aus purer Boshaftigkeit auf die Welt gekommen bin, damit ich ihnen dann das Leben schwer machen kann. Ein bisschen wie Lord Voldemort, dem erzählt wurde, dass es da vielleicht jemanden gibt, der ihn besiegen kann, und der dadurch einen sehr merkwürdigen Hass auf ein ein Jahr altes Baby entwickelt. Kein Wunder also, dass ich als Erwachsene überrascht bin, wenn ich auf einmal Menschen treffe, die gerne Zeit mit mir verbringen. Und um solche Momente soll es hier gehen.


Letztes Jahr traf ich einen Freund, den ich schon einige Jahre nicht mehr gesehen habe. Er hatte zwischenzeitlich in einer anderen Stadt gewohnt. Nun war er wieder hier und wir verabredeten uns zum Kaffee trinken. Ich hatte mich in der Zeit durch Therapie und die Aufarbeitung meiner Kindheit sehr verändert und wusste nicht, wie er darauf reagieren wird. Ich hatte Angst, dass er mein neues Ich nicht mehr mag oder ich ihn mit meinen Problemen nerven würde. Wir trafen uns, tranken Kaffee, redeten über alles, was in der Zwischenzeit passiert ist, und verabschiedeten uns irgendwann. Als ich nach dem Treffen nach Hause fuhr, merkte ich, wie sich eine Erleichterung bei mir breit machte, denn – welch eine Überraschung – er mochte mich immer noch und war auch nicht genervt von meinen Problemen. Und auf einmal verstand ich es: Natürlich nerve ich nicht automatisch, nur weil ich einfach ich bin. Ich nerve auch nicht, wenn ich mich verändere oder ein paar Probleme habe. Wieso auch?! Es ist doch nur menschlich, sich zu verändern und Probleme zu haben. Und nicht nur das. Es gab sogar eine Freundin, der ich mich durch die Probleme noch näher verbunden fühlte als vorher. Verrückt, oder?


Immer wieder gibt es solche Momente. Jedes Mal, wenn ich Freundinnen treffe – auch wenn ich sie schon seit Jahren kenne – begleitet mich eine kleine Angst. Und zwar die Angst, dass nach all den Jahren plötzlich etwas Schlimmes passieren könnte. Sie könnten mich zum Beispiel beleidigen oder auf eine andere Art schlecht mit mir umgehen. Obwohl es eher unwahrscheinlich ist, dass eine Person nach acht Jahren auf einmal eine Drehung um 180 Grad macht, habe ich immer ein kleines bisschen Restangst, dass es ja heute so weit sein könnte. Nach dem Treffen ist dieser kleine Teil von mir dann natürlich überrascht und erleichtert, dass dieses Mal wieder nichts passiert ist. Ich wundere mich dann immer über mich selbst, weil es mir eigentlich klar war, dass nichts passieren würde. Aber der Zweifel ist eben ein Überbleibsel aus einer Zeit, wo ich jahrelang mit neuem, immer schlimmer werdendem Verhalten überrascht wurde.


In solchen Momenten merkt man erst, wie schräg das Verhalten der eigenen Eltern gewesen sein muss. Ich schreibe bewusst „gewesen sein muss“, denn ich habe kaum noch Erinnerungen an meine Kindheit. Ich sehe nur das Endergebnis des Verhaltens und die Probleme, die es für mich auslöst. Zusammen mit einzelnen Erinnerungen oder Erzählungen von Anderen, füllen sich dann die Lücken. Wie bei einer Lücke in einer mathematischen Gleichung. Um + = 5 zu lösen, muss ich die Informationen nutzen, die ich habe. Ich weiß, dass das Ergebnis fünf ist und jemand hat mir erzählt oder ich erinnere mich daran, dass in der Gleichung eine drei vorkommt. Ich weiß also schon, dass die Gleichung 3 + _ = 5 ist. Jetzt habe ich nur noch eine Lücke und da ich nach 13 Jahren Matheunterricht die Grundrechenarten wie keine Zweite beherrsche, weiß ich, dass in die Lücke eine zwei kommt. So oder so ähnlich läuft auch mein Heilungsprozess ab.


Und so traurig die Erkenntnisse über meine Kindheit auch sind, merke ich durch die Überraschungen in meinem Alltag doch, wie sehr ich mich weiterentwickelt habe. Denn diese Überraschungen bedeuten ja auch, dass ich mich mit den richtigen Menschen umgebe, die mich anders behandeln, als ich es gewohnt bin. Vielleicht höre ich irgendwann auch auf, überrascht von solchen Menschen zu sein, und der zweifelnde Teil in mir versteht, dass es Menschen gibt, die nicht nur nett zu mir sind, weil sie mich irgendwann erniedrigen und ausnutzen wollen. Aber vielleicht werde ich auch immer wieder überrascht. Damit könnte ich gut leben. Ist ja schließlich nicht die schlechteste Art der Überraschung :-)


Comments


Franzis Gedankenwelt

  • alt.text.label.Instagram
  • alt.text.label.Twitter

©2024 von Tante Manschis Gedankenwelt. Erstellt mit Wix.com

bottom of page