top of page

Wenn der Traum zur Realität wird

  • Autorenbild: Franzi C
    Franzi C
  • 16. Aug. 2024
  • 5 Min. Lesezeit

„Im Leben gibt es zwei Tragödien. Die eine ist die Nichterfüllung eines Herzenswunsches. Die andere ist seine Erfüllung.“ Dieses Zitat von Oscar Wilde fasst ganz gut zusammen, was passiert, wenn die eigenen Wünsche in Erfüllung gehen: Die Vorfreude wird durch die Realität ersetzt und verschwindet schließlich ganz. Manchmal genießt man die Vorfreude sogar so sehr, dass man unbewusst vermeidet, sich dem eigenen Ziel auch nur anzunähern. Warum man sich trotzdem die eigenen Wünsche erfüllen sollte, erfahrt ihr hier.


Paul Watzlawick nennt die Erfüllung unserer Wünsche das „Ankommen“. Wir setzen uns ein Ziel und gehen dann den Weg, der unsere Träume zur Realität werden, d.h. uns am Ziel ankommen lässt. Und das kann manchmal etwas enttäuschend sein. Ich erkenne mein Ankommen oft erst einige Zeit, nachdem ich angekommen bin, eben weil sich das Ankommen in der Wirklichkeit ganz anders anfühlt, als ich es mir vorher ausgemalt habe. In meiner Vorstellung gibt es einen konkreten Moment, in dem ich mein Ziel erreiche. Als würde ich einen Marathon rennen und durch das Erreichen der klar erkennbaren Ziellinie sofort wissen, dass ich am Ende angekommen bin. Ich kann hier natürlich nur für mich sprechen, aber in meinem Leben gibt es eher selten eine klar gekennzeichnete Ziellinie, an dem auch noch ein Publikum steht, dass laut applaudiert, wenn ich sie erreicht habe. In der Regel ist der Moment des Ankommens viel schwammiger und selbst eher eine Art Prozess. Und vor allem ist er viel unaufregender als gedacht.


Wenn ich beispielsweise ein neues Stück auf dem Klavier lerne, fange ich damit an, dass ich mir gezielt ein Stück aussuche, was bei mir die größte Vorfreude auslöst, genauer gesagt, die Vorfreude darauf, es auch bald selbst spielen zu können. Die Vorfreude muss so groß sein, dass sie mich durch die zwei oder drei Monate tragen, die ich an dem Stück arbeite. Sie muss die Frustration, die währenddessen entsteht, ausgleichen können. Meine Vorstellung ist dann, dass ich das Stück bald kann und ich mich unglaublich freue, wenn ich es zum ersten Mal ganz und ohne Fehler spiele. Dabei gibt es diesen Moment in der Realität gar nicht. Zum Einen, weil man immer einen Fehler macht, sei er auch noch so klein, oder weil einem etwas auffällt, was man beim nächsten Mal besser machen könnte, und zum Anderen ergeben sich während des Lernens kleinere Zwischenziele. Diese sind dann Miniversionen des Ziels „das Stück können“. Sie heißen dann zum Beispiel „eine schwierige Notenfolge können“, „das Stück auswendig können“ oder „das Stück mit Gefühl spielen können“. All diese kleinen Ziele sind Teil des Prozesses und ergeben zusammen das große Ziel. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich das Ankommen an den kleinen Zielen bemerke, aber das an dem großen Ziel nicht.


Da stellt sich doch die Frage, warum wir überhaupt noch Ziele erreichen sollten, wenn der Weg doch um so vieles schöner ist. Auf meinem Weg zu einem selbstbestimmten Leben und der Heilung meiner Wunden aus Kindertagen bemerkte ich, dass ich gar nicht Schuld an meiner aktuellen Misere bin. Ich war ja schließlich nur das depressive Produkt meiner Eltern. So unangenehm das Gefühl auch ist, ist es doch auch auf eine gewisse Art und Weise beruhigend, nicht schuldig an alledem zu sein, solange ich noch auf dem Weg und damit nicht angekommen bin. Sich meinem Ziel zu nähern heißt auch, dass ich nicht mehr mit dem Finger auf andere zeigen kann, wenn es mir schlecht geht. Nun trage ich nicht nur die Verantwortung sondern auch die Schuld für mein Verhalten. Manchmal fühlt es sich so an, als würde das meine Eltern von ihrer Schuld befreien. Dabei steckt dahinter eine einfache Arbeitsteilung: Sie haben die Schuld/Verantwortung für meine Vergangenheit und ich habe die Schuld/Verantwortung für meine Zukunft. Aber da Emotionen keine Uhr haben, können sie diese Aufteilung nur schwer verstehen und es kommt manchmal zu Verwechslungen. Die zusätzliche Last, die man durch die neu gewonnene Schuld mit sich rumträgt, kann das Leben zwar etwas erschweren, aber die Alternative dazu wäre ein Leben, das weiterhin von meiner Vergangenheit bestimmt wird, und das ist für mich die eindeutig schlechtere Lebensweise.


Manchmal lohnt es sich aber auch, gar nicht erst den beschwerlichen Weg anzutreten. Dann reicht uns schon die vermeintliche Sicherheit, dass wir ja ohne Probleme ankommen würden, wenn wir nur losgingen. Warum sollten wir uns diese Sicherheit mit der Realität zerstören? Dieser Lösungsweg ist vor allem von Angst geprägt. Die Frage, die man sich dann insgeheim stellt, ist: Was ist, wenn es mir am Ziel noch genauso oder sogar schlechter geht als jetzt oder ich das Ziel gar nicht erreiche? Wir haben dann so viel Angst, dass wir wie gelähmt sind und lieber gar nichts tun. Als wären wir auf einem Fußballfeld und müssten ein Tor schießen. Wir bilden uns ein, dass wir auf jeden Fall treffen würden, wenn wir schießen, also schießen wir erst gar nicht, denn wir kennen ja schon das Ergebnis. In unserem Kopf macht die Logik in diesem Moment auch unheimlich viel Sinn, aber von außen betrachtet sind wir einfach nur die, die nicht einmal versuchen, ein Tor zu schießen, und am Ende nur regungslos dastehen. Wir sind noch an dem selben Punkt wie vorher.


Warum sollten wir uns also überhaupt auf den Weg machen, um ein Ziel zu erreichen? Na ja, auch wenn die Vorstellung davon, ein neues Klavierstück zu beherrschen, viel farbenfroher ist als die Realität, ist Letztere deswegen nicht gleich schlecht. Das Stück, das vorher nur diese eine Person auf YouTube spielen konnte und für mich zu schwer schien, geht mir jetzt ganz leicht von der Hand. Meine Haben-Seite wächst und macht mir das Erlernen des nächsten Stückes wieder etwas leichter. Die einzelnen Stücke sind wiederum Teilziele für mein großes Ziel, mir die Stücke nicht mehr drei Monate lang erarbeiten zu müssen, sondern sofort vom Blatt spielen zu können. Ich glaube, dass Vorfreude dabei ein wichtiger Teil des Prozesses ist, denn sie ist der Grund, warum wir überhaupt anfangen, etwas zu tun. Und wenn wir auf dem Weg zum Ziel mit Frustration oder fehlender Motivation konfrontiert werden, brauchen wir einen starken Antrieb, um weiterzumachen. Wäre unsere Vorfreude nicht jedes Mal so ein starkes Gefühl, würden wir wahrscheinlich beim ersten Hindernis aufgeben.


Aber was ist mit der eingebildeten Sicherheit, die wir haben, wenn wir uns gar nicht erst auf den Weg machen? Nun ja, diese Sicherheit ist eben genau das: Eingebildet. Dabei beweist die bloße Existenz unseres Wunsches, dass wir an dem Ort, an dem wir jetzt sind, nicht zufrieden sind. Und wenn wir nicht losgehen, können wir auch nicht ankommen und unsere Situation kann sich nicht verbessern. Was bleibt, sind die Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation und der Restzweifel, dass wir es vielleicht doch nicht schaffen würden. Beides werden wir nur los, wenn wir wirklich losgehen. Und selbst wenn wir tatsächlich nicht ankommen sollten, haben wir immerhin den halben Weg geschafft. Vielleicht sehen wir ja auf dem Weg dahin ein neues Ziel und können dann abbiegen, um einen ganz anderen Weg zu gehen. Am Ende ist alles besser, als immer auf der selben Stelle stehen zu bleiben.

Comments


Franzis Gedankenwelt

  • alt.text.label.Instagram
  • alt.text.label.Twitter

©2024 von Tante Manschis Gedankenwelt. Erstellt mit Wix.com

bottom of page