Der Kampf ist vorbei
- Franzi C
- 19. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Vor kurzem hatte ich eine der wichtigsten Erkenntnisse meines Lebens. Es war einer dieser Momente, in denen ich sofort wusste, dass ich die Welt ab jetzt ein kleines bisschen anders wahrnehmen werde. Es war die Erkenntnis, dass ich als Kind nie das Problem war. Ich war schon immer genug und hätte mir das Gefühl, geliebt zu werden, nie erarbeiten müssen. Vor allem nicht so hart.
Aber bevor ich weiter darauf eingehe, muss ich noch kurz erklären, dass es zwei Arten von „Verstehen“ gibt. Zum einen das Verstehen von Zusammenhängen oder Fakten. Und zum anderen das Gefühl dahinter, dass die Fakten auch wirklich stimmen. Es ist, zum Beispiel, eine Tatsache, dass die Queen vor 3 Jahren gestorben ist. Das verstehe ich natürlich. Und trotzdem fühlt es sich falsch an. Denn gefühlt ist sie erst letztes Jahr gestorben.
Und so ist es auch mit meiner Erkenntnis. Ich wusste natürlich schon länger, dass ich als Kind nichts falsch gemacht habe und auch nicht verantwortlich für das Verhalten meiner Eltern war. Aber das passende Gefühl dazu hat mir bisher noch gefehlt.
Das führte dazu, dass ich jahrelang dachte, ich müsste mir die Zuneigung von anderen erarbeiten. Mehr noch, ich hatte oft das Gefühl, dass ich z.B. meine Freunde gar nicht verdiene. Jede Kleinigkeit von ihnen fühlte sich für mich an, als hätte ich es gar nicht verdient. Wenn sie z.B. meinen Nachnamen wussten oder mir einfach nicht das Gefühl gegeben haben, dass ich nerve, war ich verwundert und dachte mir, wie froh ich doch sein kann, solche außergewöhnlichen Freunde zu haben. Versteht mich nicht falsch, sie sind tatsächlich außergewöhnliche Freunde, aber nicht deswegen.
Bei allen Freundinnen habe ich nicht verstanden, warum sie überhaupt freiwillig Zeit mit mir verbringen. Ich habe damals sehr lange darüber nachgedacht, warum sie mich überhaupt mögen. Ich konnte mir diese Frage einfach nicht beantworten. Irgendwann dachte ich, sie sehen mehr in mir, als eigentlich da war. Und schon entstand ein innerer Druck, ihren Ansprüchen genügen zu wollen. Ich dachte, ich muss mich richtig anstrengen, um dem gerecht zu werden und sie nicht zu enttäuschen.
Ich dachte, sie hätten vielleicht mein Potenzial gesehen. Sie hätten erkannt, dass in ein paar Jahren mal ein guter Mensch aus mir werden könnte und haben die ganze Zeit darauf gewartet, bis es endlich so weit ist. Also strengte ich mich weiter an, denn wie beim Sport-Unterricht wollte ich meinen guten Willen zeigen und irgendwann eine Leistung erbringen, für die ich nicht nur eine 4 sondern vielleicht sogar mal eine 3 kriege.
Dieses Gefühl hatte ich bei allen Menschen in meinem Umfeld. Ich muss mich anstrengen und ihnen zeigen, dass hoffentlich irgendwann mal ein guter Mensch aus mir wird, mit dem sie dann auch wirklich gerne befreundet sind, denn jetzt würden sie mich nur Zähne knirschend erdulden. Aus diesem Antrieb heraus habe ich Bücher über Psychologie gelesen, mich in der Schule, im Studium und auf Arbeit angestrengt und auch Therapie gemacht. Ich dachte: „So, wie ich jetzt bin, kann ich auf keinen Fall bleiben. So jemanden wie mich will doch niemand als Freundin. Ich bin nicht genug. Ich muss unbedingt etwas tun. Sonst verschwinden die Menschen irgendwann aus meinem Leben.“
Vor ein paar Wochen kam mir dann der Gedanke: „Was ist, wenn all diese Leute gar nicht mein Potenzial sehen, sondern das, was schon längst da ist? Was ist, wenn ich so, wie ich jetzt bin, bereits genug bin und auch schon immer genug war?“ Das wäre ja verrückt, oder?! Nein, ganz im Gegenteil. Das wäre und ist sogar die Realität.
Mir war auf einmal klar, dass der ganze Druck, den ich mir jahrelang vorher gemacht habe, total unnötig war. Ich hätte niemandem etwas beweisen müssen. Vor allem nicht meinen Freunden. Die waren schließlich freiwillig mit mir befreundet. Aber auch anderen muss ich nichts beweisen. Ich bin so, wie ich bin, und das ist auch genug. Und wenn mich jemand nicht mag, ist das okay und bedeutet nicht, dass ich irgendetwas falsch mache. Ich habe meine Freunde genauso verdient, wie sie mich.
Ich hätte mich auch all die Jahre nicht auf Krampf weiterentwickeln müssen. Ich liebe es, neue Dinge über mich selbst oder interessante Themen zu erfahren. Und ich entwickle mich gerne weiter, aber ich mache es ab jetzt nicht mehr aus dem Gedanken heraus, nicht gut genug zu sein. Ab jetzt mache ich es, weil es sich gut anfühlt und weil es mich interessiert, wie weit ich noch kommen kann. Und wenn mal eine Weile keine neue Erkenntnis kommt oder ich nichts Neues lerne, ist das auch in Ordnung.
Ich fühlte mich auf einmal unglaublich befreit und erleichtert, aber auch mindestens genauso müde. Logisch, denn ich habe jahrelang einen schweren Rucksack mit mir herumgeschleppt. In ihm war der ganze Druck, der Stress und die Angst davor, zu versagen und jeden Moment eine geliebte Person zu verlieren, weil ich mich nicht genug angestrengt habe. Wenn man den nach 32 Jahren endlich mal absetzt, tut einem natürlich der Rücken weh.
Das sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wenn eine vorher unbewusste oder nicht sichtbare Last von mir abfällt, bemerke ich dadurch erstmal, wie viel ich vorher mit mir herumgetragen habe. Solche Momente machen mich immer auch ein kleines bisschen traurig, weil mir rückblickend auffällt, wie anstrengend bestimmte Situationen für mich waren. Aber auch wie normal es für mich war, dass es anstrengend und stressig war.
Das Wichtigste ist, dass dieser unnötige Ballast endlich weg ist. Mein Nervensystem ist so entspannt wie noch nie. Mein Innenleben wird immer leichter und einfacher. Mein Kopf wird ruhiger und meine Gedanken drehen sich nicht mehr so oft im Kreis. Und dafür bin auch gerne mal ein paar Tage etwas müde.
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