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Die Ruhe ist der Sturm

  • Autorenbild: Franzi C
    Franzi C
  • 5. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit

Ruhe ist doch eigentlich etwas schönes. Sie ist im Normalfall friedlich und entspannend, denn wenn es ruhig ist, prasseln keine neuen Informationen und Eindrücke auf einen ein. Wir alle brauchen zum Beispiel abends ein kleines bisschen Ruhe, um runterzukommen und um zu verarbeiten, was tagsüber passiert ist. Aber für einige ist Ruhe auch etwas gefährliches oder stressiges.


Und mit „einige“ meine ich natürlich mich. Obwohl ich aus sicherer Quelle - also von meinen Freundinnen - weiß, dass ich damit nicht alleine bin. Für mich löst eine bestimme Form der Ruhe Stress bei mir aus. Denn Ruhe oder, genauer gesagt, das sogenannte Stonewalling (dt.: eine Mauer aufbauen) wurde bei mir früher als Bestrafung eingesetzt. Die Mauer wird dabei natürlich nur bildhaft aufgebaut. Sie soll ein vernünftiges Gespräch erschweren oder sogar komplett verhindern.


Die Maurermeisterin meiner Kindheit war meine Mutter. Es gab Situationen, in denen ich neben ihr stand und sie mich einfach ignoriert hat, so als würde ich gar nicht existieren. So ein Verhalten ist für jede Person, besonders aber für Kinder, ziemlich verwirrend. Irgendwann wusste ich nicht mehr, ob fehlende Kommunikation mit einer anderen Person etwas gutes oder etwas schlechtes ist.


Und so geht es mir bis heute. Wenn mir eine Person länger nicht auf eine Nachricht antwortet, fängt ein kleiner Teil in meinem Hinterkopf an, zu überlegen, was ich falsch gemacht haben könnte. Wohl gemerkt: Nicht „ob“, sondern „was“. Dieser Teil fragt also nicht mal, ob es überhaupt ein Problem gibt, sondern ist sich sicher, dass es eins gibt und das nur ich allein an allem Schuld bin.


Das ist ja sowieso immer das Verrückte bei solchen Problemen. Man unterstellt sich selber, dass man ganz allein Schuld an allem ist und somit ja auch die gesamte Situation zu 100% kontrolliert. Als läge es in meiner Hand, ob, wann und wie die andere Person antwortet. Dabei hat man ab dem Moment, in dem die Nachricht das eigene Smartphone verlässt und durch das Internet zur anderen Person fliegt, überhaupt gar nichts mehr in der Hand, außer eben das Smartphone.


Natürlich ist mir klar, dass meine Freunde sowas nicht machen würden. Ich weiß auch, dass sie noch ein Leben außerhalb der Freundschaft haben und auch mal essen, schlafen und arbeiten. Trotzdem ist da immer ein Restzweifel, ob die langjährige Freundschaft vielleicht genau jetzt endet, weil meine Nachricht das Fass zum Überlaufen gebracht hat.


Denn während ich auf eine Antwort warte, fängt mein Kopf früher oder später an, der Fantasie freien Lauf zu lassen. Er erstellt eine Top 5 der schlimmsten Worst Case-Szenarien, in denen ganz normales Verhalten, z.B. dass ich nach einem Treffen gefragt oder von meinem Tag erzählt habe, von mir auf die absurdeste Art und Weise uminterpretiert wird. Aber genauso schnell wie die Angst kommt, geht sie auch wieder, wenn meine Freunde dann antworten. Dann beruhigt sich mein Kopf schlagartig wieder und auch die Angst löst sich in Luft auf, als hätte sie nie existiert.


Aber für einen kurzen Augenblick fühlt es sich eben genauso an wie früher. Ich suche die Nähe zu einer Person, die mir wichtig ist, verhalte mich dabei auch völlig normal und das Ergebnis ist ein unvorhersehbares Chaos aus entweder Nähe oder Distanz oder beidem. Früher wurde ich absichtlich ignoriert und heute brauchen meine Freunde ganz unabsichtlich einfach mal ein paar Stunden oder Tage, um mir zu antworten. Komplett verschiedene Situationen, die sich aber sehr ähnlich anfühlen.


Der Unterschied zwischen früher und heute ist, dass meine Mutter die Ignoranz  absichtlich als Manipulation und Bestrafung benutzt hat. Das Ziel von solchen Manipulationstaktiken war, mich als Kind zu verwirren. Denn als Kind ist man sehr abhängig von den Eltern. Sie bestimmen die Regeln für das Zusammenleben und eben auch unter welchen Bedingungen man Zuneigung von ihnen bekommt. Im Idealfall kriegt man die natürlich immer. Das nennt sich dann bedingungslose Liebe.


Ich muss jetzt wahrscheinlich nicht extra erwähnen, dass es sowas bei mir zuhause nicht gab. Stattdessen gab es sinnlose und verwirrende Regeln, von denen ich immer erst erfahren habe, als ich sie unwissentlich gebrochen habe und dann dafür bestraft wurde. Das Ergebnis war, dass ich dadurch unsicher und demnach auch leichter zu kontrollieren war. Denn an wen wendet man sich als Kind, wenn man unsicher ist? Richtig, an die eigenen Eltern. Sie sind dann Ursache des Problems, aber sollen auch die Lösung dafür sein. Dabei machen die das Problem dann nur noch größer. Ein Teufelskreis.


Das schlimmste daran war eigentlich, dass ich nie wusste, woher die Bestrafung kommt oder wie ich sie verhindern könnte. Als würde ich mit dem Auto durch die Stadt fahren, aber nirgendwo stehen Schilder, die mir verraten, wie schnell ich fahren darf. Ob und wie oft ich zu schnell war, merke ich dann erst, wenn die Blitzerfotos bei mir zuhause ankommen. Dann ist egal, was man macht. Man hat quasi keine Chance, etwas richtig zu machen, und ist der Situation einfach hilflos ausgesetzt.


Das Absurde ist ja, dass ich rückblickend weiß, dass ich als Kind gar nichts falsch gemacht habe. Ich wurde also für richtiges Verhalten bestraft. So als würde ich mit 50 km/h durch eine 50er Zone fahren und trotzdem einen Strafzettel bekommen. Deswegen war es für mich auch früher unmöglich, vorherzusehen, ob und wann ich bestraft werde. Weil es nie um richtig oder falsch ging, sondern um Verwirrung und Manipulation.


Noch heute habe ich Angst, dass es auch in meinen Freundschaften  unausgesprochene Regeln gibt, die ich breche, ohne es zu wollen oder es zu merken. Aber nicht nur das. Ich hinterfrage auch mein richtiges Verhalten und überlege, ob es einen Weg gibt, mir das negativ auszulegen oder gegen mich zu verwenden.


Das ist natürlich Quatsch, denn in meinen heutigen Freundschaften gibt es keine sinnlosen oder unausgesprochenen Regeln. Meine Freunde wollen mich auch nicht insgeheim bestrafen oder manipulieren. Die Gesprächspausen hatten bisher auch nie etwas mit mir zu tun. Und wenn es Probleme gibt, sind sie in der Lage, sie vernünftig anzusprechen und zu klären. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich dieses Gefühl nur noch selten habe und mein Kopf sich auch wieder so schnell beruhigt, wenn sie mir dann auf meine Nachricht antworten. Weil ich eigentlich weiß, dass der ängstliche Teil in mir Unrecht hat und nur noch ein Überbleibsel aus längst vergangenen Tagen ist.

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